KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Übertragung zellfreier Extrakte der »rauhen« Koloniebildner auf die glatten Varianten letztere in Bakterien verwandeln, die ebenfalls zu rauhen Kolonien heranwachsen. Der modifizierte Stamm behielt seine neue Eigenschaft bei und gab sie seinerseits von Generation zu Generation weiter.
Es blieb jetzt die Frage zu klären, welches die entscheidende Substanz war, die die Information zur Bildung rauher Kolonien transportierte. Ein Bakterienzellextrakt ist eine wilde Mischung aller Arten von Molekülen. Avery ging davon aus, dass nur einer der beiden größten und komplexesten Molekültypen als potentielle Kandidaten in Betracht kommen könnte. Er musste nur noch herausfinden, welcher es war – – die Eiweiße oder die Nukleinsäuren. Daher behandelte Avery die Extrakte entweder mit proteinspaltenden Enzymen (Proteasen) oder mit Enzymen, die Nukleinsäuren zerstören (Nukleasen). Und siehe da, die Proteasen hatten keinerlei Einfluss auf die Wirksamkeit des Extrakts. Behandelte man ihn aber mit Nukleasen, so verlor er seine Fähigkeit, Erbinformationen zu übertragen. Die Mehrheit der Forschergemeinde war überrascht. Nicht die hochkomplexen Proteine, sondern die vergleichsweise unscheinbar monotonen Nukleinsäuren schienen das Material zu sein, aus dem die Gene gemacht sind. Endlich war das materielle Korrelat der Mendelschen Elemente gefunden.
Gregor Mendel stellte seine Theorie der Vererbung auf,
ohne jemals das Wort »Gen« zu verwenden. Er sprach von Elementen, die für die Ausprägung bestimmter Merkmale verantwortlich sind. Begriffe wie Gen, Genotyp oder auch Phänotyp verwendet die Biologie erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Begriffe wurden eingeführt, ohne dass man auch nur eine Vorstellung oder Ahnung hatte, wie ein Gen eigentlich aussieht. Gene waren zunächst eine abstrakte Idee; ihre Existenz erschloss sich nur indirekt, indem man die Verteilungsmuster bestimmter Merkmale über die Generationen hinweg beobachtete. Gene ließen sich nicht in ein Reagenzglas füllen, untersuchen oder gar manipulieren. Durch Averys spektakuläre Erfolge änderte sich die Situation grundlegend. Gene schienen plötzlich Gestalt anzunehmen. Ihre chemische Beschaffenheit war geklärt. Die DNA – der Stoff, aus dem die Gene sind – besteht aus den genannten vier Nukleosid-Bausteinen plus Zucker (Desoxyribose), verbunden durch Phosphorsäureester.
Niemand hatte allerdings eine klare Vorstellung von der räumlichen Struktur und der Funktionsweise dieses riesigen Moleküls. Einen ersten Hinweis lieferten die berühmten Chargaff-Regeln. Dem österreichischen Chemiker Erwin Chargaff (1905–2002) fiel auf, dass die Nukleoside Thymin und Adenin sowie Cytosin und Guanin in jedem Molekül jeweils immer exakt im Verhältnis 1:1 vorliegen. Daher lag es nahe, dass sie paarig angeordnet sind.
Die legendäre Doppelhelix
, die tatsächliche räumliche Struktur, wurde 1953 von dem Physiker Francis Crick (1916–2004) und dem Biologen James Watson (*1928) in Cambridge aufgeklärt. Sie entwickelten ihr Modell basierend auf den röntgenkristallographischen Messungen der Chemikerin Rosalind Franklin (1920–1958). Die DNA ist in zwei eng nebeneinanderliegenden antiparallelen Ketten angeordnet. In diesem Doppelstrang liegen festgelegte Paarungen von Basen einander gegenüber. Adenin paart sich mit Thymin und Guanin mit Cytosin. Der Doppelstrang ist zu einer langen, wendeltreppenartigen Spirale aufgedreht. Diese Spirale bildet lange Ketten, die in bestimmte Eiweiße verpackt sind. Bei normalen menschlichen Zellen finden sich im Zellkern 23 Paare dieser Ketten. Sie sind das Chromatin, das den Zellkern scheinbar homogen ausfüllt. In Wahrheit handelt es sich um lange, unglaublich dünne DNA-Fäden. Zusammengenommen sind die DNA-Fäden im Kern einer einzigen menschlichen Zelle fast 2 Meter lang. Aus der Tatsache, dass dieser zwei Meter lange Faden im Zellkern zusammengerollt ist, der ein Volumen von weniger als einem Millionstel Kubikmillimeter hat, lässt sich ermessen, wie dünn ein DNA-Faden ist. Unmittelbar vor der Teilung einer Zelle kondensiert dieser Faden noch weiter und bildet die Chromosomen, die schon aus den Beobachtungen mit dem Lichtmikroskop bekannt waren.
Die Strukturkenntnis der Doppelhelix
öffnete die Tür, um das Rätsel der DNA zu lösen. Watson und Crick beendeten ihren Artikel mit unnachahmlich britischem Understatement: »It has not been escaped our notice, that the specific pairing we have postulated suggests a
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