Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
Vom Netzwerk:
schaffen. Lange blieb aber unklar, wie der Krebs das anstellt. Ende der 1960er-Jahre beobachteten Melvin Greenblatt und Philippe Shubik, dass auch dann Gefäße aus dem Wirtsgewebe zum Tumor zu sprießen begannen, wenn der Tumor komplett mit einem Filter umgehen wurde, der nur Moleküle, aber keine Zellen passieren ließ. Dieser Versuch wies darauf hin, dass es eine lösliche Substanz sein musste, die der Tumor ausschüttet und die die Gefäßzellen des Wirts zum Wachstum und zur Bildung von neuen Gefäßen anregte.
    Schon drei Jahre nach diesem Experiment gelang es Judah Folkman, einem Zellbiologen der Harvard Medical School, mit einem Extrakt aus Tumorgewebe solche Gefäßneubildungen im Experiment zu provozieren. Noch ohne die leiseste Ahnung zu haben, wie die entscheidende Substanz in dem wilden Stoffgemisch eines Zellextrakts schließlich aussehen würde, gab ihr Folkman den Namen Tumor Angiogenese Faktor (TAF).
    Folkman schwebte eine völlig neue und visionäre Strategie zur Krebsbekämpfung vor.
Er schlug vor, das Ziel zu wechseln. Nicht die Tumorzellen selbst, sondern die neu wachsenden Gefäße sollten ins Visier der therapeutischen Anstrengungen genommen werden. Folkman dachte an Medikamente, die selektiv die Gefäßneubildung (Angiogenese) von Tumoren hemmen. Solche Medikamente sollten den Krebs einfach schlafen legen, bevor er zu einer Größe herangewachsen ist, die im Körper Schaden anrichten konnte. Mit dieser 180°-Kehrtwende stieß er zunächst auf viel Skepsis unter seinen Fachkollegen. Im 10. Kapitel schildere ich, was aus seinem Traum wurde.
    Bevor das Fell verteilt werden konnte, musste aber der Bär erst erlegt werden. Es vergingen fast zwei Jahrzehnte, bis das entscheidende Molekül, das die Gefäßneubildung anregt, schließlich identifiziert werden konnte. Es handelte sich um ein Eiweiß, das als Wachstumsfaktor auf Endothelzellen wirkt. Sein Wirkmechanismus ähnelt stark den Signalwegen der Wachstumsfaktoren, die wir im Rahmen der ras-Geschichte kennengelernt haben. Dieser Wachstumsfaktor erhielt den Namen VEGF (vascular endothelial growth factor). VEGF bindet an einen speziellen Rezeptor, der vorrangig auf Gefäßzellen sitzt, und löst über eine entsprechende Signalkette zum Zellkern eine komplexe Antwort der aktivierten Zelle aus, die in der Zellteilung und der Bildung neuer Gefäße mündet. Mittlerweile wurde noch eine Reihe weiterer Eiweiße gefunden, die auf ähnliche Weise die Bildung von Blutgefäßen anregen können.
    Der Stimulus, der eine Tumorzelle zur Produktion von VEGF anregt, ist schlicht der Mangel an Sauerstoff. Fast jede Zelle unseres Körpers verfügt über molekulare Messfühler, die auf einen kritischen Abfall der Sauerstoffkonzentration reagieren. 55 Leider bedient sich der Tumor hier wieder vormals sinnvoller und weitverbreiteter Mechanismen, die die Evolution angelegt hat, um Zellen vor Mangelzuständen zu schützen. Sinkt die Konzentrationen von Sauerstoff unter eine kritische Grenze, so reagieren die meisten Zellen, indem sie viele verschiedene Eiweiße mit dem Ziel produzieren, sich an den Mangelanzupassen oder ihm gegenzusteuern. Ein wichtiger Aspekt dieser vielschichtigen Reaktion ist die Produktion von VEGF, der die Sauerstoffversorgung durch Bildung neuer Nachschublinien wieder herstellen soll. Leider scheint das auch den Krebszellen oft nur allzu gut zu gelingen. Die meisten bösartigen Tumoren sind sehr gefäßreiche Gebilde, auch wenn sie immer wieder von Regionen durchsetzt werden, die vom Mangel beherrscht sind.
    • • •
    Mittwoch, 30. Juli 2008
    I mogen nahm meine Hand und führte sie an ihre Brust. »Fühl mal! Ich bilde mir das nicht ein. Er ist nochmal kleiner geworden.« Sie hatte recht. Fast drei Wochen waren seit der letzten Chemotherapie vergangen. Der ursprünglich harte, gut drei Zentimeter messende Knoten war jetzt in einzelne kleine Träubchen zerfallen.
    Wir lagen beide ausgestreckt auf der Baumwolldecke unseres raumfüllenden Doppelbetts. »Vielleicht hat sich die Tortur ja doch gelohnt. Die EC-Zeit 56 war eine finstere Zeit. Nicht nur der Tag der Chemo war furchtbar, das Erbrechen ohne Ende, auch die Woche danach war gestohlene Zeit. So könnte es sich anfühlen, wenn einem Dementoren Glücksempfinden und Lebensmut aus dem Körper saugen. Du erinnerst dich an Harry Potter?«
    Und ob ich mich erinnerte. In den ersten Tagen nach den Infusionen lag Imogen oft mit geschlossenen Augen im halbdunklen Zimmer. In dieser Zeit hatte ich ihr

Weitere Kostenlose Bücher