KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
durch Antikörper inaktiviert, weil ihre Bindungsstelle an potentielle Zielzellen durch den Antikörper blockiert ist. Bei Viren kann die Blockade viraler Rezeptoren durch passende Antikörper das Eindringen von Viren ihre Zielzellen verhindern.
Viele Mikroben werden durch die Markierung mit einem Antikörper
zum Freiwild für weitere Abwehrsysteme des angeborenen und des adaptiven Immunsystems. Fresszellen haben spezielle Rezeptoren für den invariablen Teil von Antikörpern, die sogenannte Fc-Region. Sie docken an und können das komplette Konglomerat aus Antikörper und Erreger vertilgen und verdauen. Das wiederum führt in einer positiven Rückkopplungsschleife zur erneuten Präsentation von Bruchstücken des Eindringlings auf dem silbernen Tablett des MHC-Komplexes der Fresszelle und zur Verstärkung der spezifischen Immunantwort.
An Bakterien gebundene Antikörper aktivieren außerdem das Komplement-System, eine Kaskade von aggressiven Eiweißen, die einen zellulären Eindringling tödlich schädigen können. Außerdem verfügen auch NK-Zellen über Rezeptoren, die den konstanten Teil des Antikörpers, die Fc-Region erkennen. So werden auch NK-Zellen auf die Spur von Bakterien gesetzt. Diese töten ihre solcherart markierten Ziele dann auf ähnliche Weise ab wie eine Virus-infizierte Zielzelle.
Eine Theorie über Stärken und Schwächen
Können wir aus dem Wissen über die Struktur und Organisation des Immunsystems ableiten, ob und wie uns das Immunsystem im Kampf gegen Krebs zur Seite steht?
Alle Teile des Immunsystems haben ihre speziellen Stärken und Schwächen. Das angeborene Immunsystem ist präformiert und daher jederzeit einsatzbereit. Es kann rasch und direkt reagieren. Es bildet fast immer die erste Verteidigungslinie gegen die Eindringlinge von außen. Es ist außerdem robust, unkapriziös und neigt nicht zur Überreaktion. Da seine Beute aus Molekülen besteht, die dem Säugetierorganismus vollkommen fremd sind, führen subtile evolutionäre Veränderungen solcher Moleküle nicht dazu, dass die Beute plötzlich durch die Maschen der Immunerkennung schlüpfen kann. Außerdem ist die Gefahr der Verwechslung des Angreifers mit körpereigenen Strukturen gering. Das angeborene Immunsystem neigt nicht zur Autoaggression; dieses Problem ist uns vom adaptiven Immunsystem in Form von Autoimmunerkrankungen wie dem Asthma oder dem Rheuma durchaus kennen.
Diese Eigenschaften haben allerdings eine Kehrseite: Das angeboreneImmunsystem ist nicht plastisch. Es entwickelt kein immunologisches Gedächtnis. Bei jeder neuen Infektion – auch mit einem längst bekannten Erreger – fängt es wieder vom Nullpunkt an. Es entwickelt sich keine Immunität, die eine Re-Infektion abfangen könnte, bevor der Körper den Preis für die Abwehrschlacht in Form von Krankheitssymptomen bezahlen muss.
Sein zweiter Nachteil ist die fehlende Sensitivität gegenüber subtileren Unterschieden zwischen Freund und Feind. Den etwa 1000 unterschiedlichen Rezeptoren des angeborenen Immunsystems stehen beim adaptiven Immunsystem über zehn Millionen Strukturen gegenüber, die körperfremde Moleküle erkennen können. Für kleine Unterschiede zwischen Selbst und Fremd, wie zum Beispiel für geringgradige Veränderungen in der Orthographie der Eiweiße, ist das angeborene Immunsystem weitgehend blind. Wenn es bereits mit der Unterscheidung von bakteriellen und körpereigenen Proteinen Schwierigkeiten hat, so scheint es zumindest auf den ersten Blick im Kampf gegen Tumorzellen ziemlich nutzlos zu sein.
Das Hauptproblem der Immunabwehr von Tumoren
ist die Enttarnung des Gegners. Schon aus diesem Grund ist das Bild eines Muskels, der jeden Gegner in Schach halten kann, wenn er zuvor nur kräftig genug trainiert wurde, ziemlich schief. Auch der härteste Punch geht ins Leere, wenn der Boxer für den Gegner blind ist.
Tumorzellen sind uns a priori nicht fremd, sie sind »Fleisch von unserem Fleische«. Wenn überhaupt, dann sind nur kleine Abweichungen von den Mustern normaler Zellen zu erwarten. Das Kernproblem der Immunabwehr von Krebszellen ist die Frage, ob der Spalt der molekularen Unterschiede zwischen normalem Gewebe und Krebszellen so breit ist, dass das Immunsystem einen Fuß in diese Tür zwängen könnte.
Aus der Perspektive des Immunsystems sind die Veränderungen in einer Krebszelle am ehesten mit den Folgen einer Virusinfektion vergleichbar. Krebszellen entstehen durch Genmutationen. Mutierte Gene führen – wenn sie Folgen
Weitere Kostenlose Bücher