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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Kritik unterzog. Sofja Tolstaja war zerrissen zwischen der Liebe zu ihrem Mann, der Verantwortung für die Familie, die in vieler Hinsicht ihr Lebenswerk war, und Selbstachtung und Stolz. Auf seinen neuen Wegen konnte sie ihrem Mann nicht folgen.
    Auch viele Leser konnten ihm auf seinen neuen Wegen nicht folgen. Tolstoi blieb zwar ein sehr populärer Schriftsteller, er blieb auch Ehemann und Familienvater, gleichzeitig aber lebte er in einer ganz anderen Welt, in die solche sozialen Rollen nicht passten. Er wurde, eigentlich wider Willen, beinahe zum Gründer einer neuen Religion. So gesehen gehört die Kreutzersonate (neben Tolstois Beichte und Worin mein Glaube besteht ) zu den maßgeblichen Schriften einer religiösen Sekte, der«Tolstojaner». Diese Sekte, nicht von Tolstoi gegründet, nicht von ihm angeführt, aber von ihm und seinem Werk inspiriert, hätte zu einem russischen Protestantismus werden können, aber die Geschichte hat es sich anders überlegt: Der Bewegung blieb zu wenig Zeit für ihre Verbreitung. Zu schnell kam der Erste Weltkrieg, dann die Bolschewiken, die mit den Tolstojanern noch weniger zimperlich waren als die russisch-orthodoxe Kirche zur Zarenzeit. Die Kommunisten machten Tolstoi
zwar zur Hauptgottheit ihres literarischen Pantheons, doch die Tolstojaner-Kommunen wurden nach und nach geschlossen und viele ihrer Mitglieder verhaftet. Heute gibt es in Russland wieder eine offiziell registrierte religiöse Organisation der Tolstojaner, Duchownoje Jedinstwo («Geistige Einheit»), sie ist aber weder zahlnoch einflussreich.

    Es wird oft behauptet, Dostojewski sei ein krankhaft unruhiger Geist gewesen, Tolstoi dagegen ein ruhiger Weiser. Letzteres ist falsch. Tolstoi war nicht einfach nur ein widersprüchlicher Mensch, seine Widersprüchlichkeit war seine Triebkraft. Weder die glühenden Anhänger seiner neuen Philosophie noch seine Leserschaft noch seine Familie konnten mit dieser Widersprüchlichkeit etwas anfangen: Die Gefolgschaft verlangte Treue und Musterhaftigkeit von ihm, während die Familie ihre Rechte geltend machte. Aber Tolstoi konnte keine endgültige Wahl treffen, er konnte seinen Geist nicht zu den festen Formen einer Ideologie erstarren lassen. Er geriet von allen Seiten unter Druck, den er kaum ertragen konnte. Eben darin, glaube ich, bestand die Tragödie seiner späten Jahre.

DIE«KREUTZERSONATE», DEM LEBEN NACHEMPFUNDEN?
    Viele haben die Kreutzersonate so gelesen, als blickten sie durch ein Schlüsselloch in Tolstois Schlafzimmer. Parallelen zum richtigen Leben beweisen jedoch auf keinen Fall den autobiographischen Charakter der Erzählung. Ein Autor bedient sich überall, auch bei sich selbst, und ist in dieser Hinsicht meistens rücksichtslos und unverschämt. Aber er benutzt die Details, die Stücke, die er überall erbeutet und gesammelt hat, um daraus etwas Neues zusammenzustellen. Es sind Episoden überliefert, die Tolstoi zu seiner Kreutzersonate führten: Einmal berichtete ihm jemand von einem Reisegefährten, der die Geschichte seiner Eifersucht erzählt hatte; ein anderes Mal war er von Beethovens Kreutzersonate so beeindruckt, dass er von einem künstlerischen Projekt zu schwärmen anfing: Er wollte eine Erzählung schreiben, die ein Schauspieler vorlesen würde, von einem Musiker begleitet, und ein Maler würde dazu ein Bild malen. Nach und nach wurde das Sujet deutlicher.
    Für Liebhaber biographischer Parallelen: Der damals bekannte Komponist und Klaviervirtuose Sergej Tanejew hatte das Unglück, Sofja Tolstaja
mit seiner Kunst so zu beeindrucken, dass sie ihn bis zur Ohnmacht verehrte. Tolstoi, dem die Musik auch sehr viel bedeutete, litt unter Eifersuchtsanfällen und forderte seine Frau auf, die Bekanntschaft mit dem Komponisten abzubrechen. Tanejew selbst hatte lange Zeit keine Ahnung, welches Drama er in Tolstois Familie verursachte, er war sowieso homosexuell. Aber … Das Tanejew-Drama geschah sechs Jahre nach der Niederschrift der Kreutzersonate . Das Leben nahm sich die Literatur zum Vorbild, nicht umgekehrt!
    Tolstois fast fünfzigjähriges Zusammenleben mit Sofja Tolstaja ist gut dokumentiert und kommentiert. Kinder, Verwandte, Freunde, Bekannte, Autorenkollegen, Journalisten, Biographen und einfache Leser ergriffen immer Partei. Entweder erscheint sie, Sofja Tolstaja, als eine tyrannische und geistlose Frau, oder – und in letzter Zeit zunehmend – er, Lew Tolstoi, wird als egoistischer Frauenhasser charakterisiert. Je mehr ich über Tolstois

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