Kreuz des Südens
»Woher soll ich mit Bestimmtheit wissen, dass er nicht die Art von Virus hat, die uns alle beunruhigen sollte? Besonders mich, denn seine Zähne sind mit meiner Haut in Berührung gekommen!« Sie hielt ihre Hand hoch wie die Freiheitsstatue.
»Sieht nicht so aus, als ob er Sie verletzt hätte«, stellte die Richterin fest.
»Sie meinen also, Sie wollen ihn nicht in eine Nervenheilanstalt schicken oder dahin, wo man ihn testen lassen kann?« Cheddars Stimme steigerte sich zu einem Quieken.
»Genau das meine ich«, sagte Richterin Davis.
»Dann lege ich mein Mandat nieder!« Cheddar warf ihre Hände hoch, es blitzte rot und gold.
»Das tun Sie nicht, weil Sie schon gefeuert sind«, rief Weed. Cheddar griff mit fliegenden Händen ihre Mappe, Unterlagen flogen durch die Luft, dann rauschte sie aus dem Saal. »Euer Ehren«, sagte Brazil. »Die Wahrheit ist, wir müssen unbedingt unser COMSTAT-Telekommunikationssystem wieder zum Laufen bringen.« Die Sache hatte zwar mit dem Verhandlungsgegenstand nichts zu tun, aber das war ihm egal. »Das Netzwerk ist wegen dieser Fisch-Geschichte praktisch überall lahm gelegt.«
»Officer Brazil, das tut nichts zur Sache.«
»Selbstverständlich«, murmelte Brazil und sah Weed herausfordernd an. »Er könnte es vermutlich ohnehin nicht reparieren.«
»Kann ich wohl«, sagte Weed.
»Ach ja?«, spottete Brazil. »Wie denn?«
»Sie entfernen einfach mein Programm, mit dem ich die Internetverbindungen gepuntet und den HTML-Interpreter von AOL durcheinander gebracht habe.«
Richterin Davis sperrte Augen und Ohren auf, denn wie fast jeder benutzte auch sie AOL und lebte in der ständigen Angst vor irgendwelchen virtuellen Farbeiern, Instant-Messenger-Bomben, HTML-Blockierern, HTML-Fehlern, einer Kombination von allem oder den harmloseren, dafür aber ärgerlicheren unbeschriebenen IM-E-Mail-Bomben. »Was heißt punten?«, fragte sie Weed.
»Der Virus hat sich automatisch mit der Text-Software verbunden«, informierte er sie, als ob seine Erklärung offensichtlich wäre. »Also, wenn man VBMSG subclassing nimmt, verstehn Sie? Damit sich das Window nicht schließen lässt und noch so'n paar andere Sachen, die ich ihm gesagt habe, ja? Weil, verstehn Sie, wie ich gerade sagte, es gibt da diesen Bug. Also hab ich dem Programm gesagt, dass es meine Karte dahin tun soll und dass sie da bleibt. Und das Anti-Punt-Programm funktioniert halt auch nicht, weil mein Programm im IM immer Reply drückt.« Im Raum herrschte ein erstauntes Schweigen. Brazil hatte alles mitgeschrieben. Der Staatsanwalt starrte mit offenem Mund ungläubig in die Runde.
»Aber ich wollte nie, dass mein Fischbildschirm überall landet«, fügte Weed hinzu. »Da muss jemand die ganzen Adressen zusammengefügt haben, und das war nicht ich.«
»Versteht irgendwer, was er gerade gesagt hat?«, fragte die Richterin.
»Ich in etwa«, sagte Brazil. »Und mit den Adressen hat er Recht.«
»Ich könnte ihm in einer Minute zeigen, wie man das wieder hinkriegt, dann können Sie mich wieder einsperren«, sagte Weed. »Und dann könnte ich auf die Parade gehen, und danach wieder eingesperrt werden.«
Er sah zur Richterin auf, Angst flackerte in seinen Augen. Er wusste, dass Richterin Davis ahnte, dass ihm etwas Schlimmes zustoßen könnte, wenn sie ihn nach Hause schickte. Er drehte sich um und sah zu seiner Mutter.
»Es ist schon in Ordnung, Mama«, sagte er. »Es hat nichts mit dir zu tun.«
Tränen traten in ihre Augen, und in seinen schimmerte es ebenso.
Der Staatsanwalt, dessen Aufgabe es war, die gesetzlich vorgeschriebene Höchststrafe zu verlangen, hielt sein Abschlussplädoyer.
»Seine Freilassung stellt eine unvertretbare Gefahr für das Eigentum anderer dar.« Er schloss mit: »Ich denke, es liegen klare und überzeugende Beweise vor, die eine Freilassung ausschließen.«
Die Richterin beugte sich vor und sah Weed an. Sie hatte sich ein Urteil gebildet, Weeds Herz schlug bis zum Hals.
»Ich denke, es besteht von staatlicher Seite her das Interesse an einer Weiterverfolgung des Falls«, verkündete sie, »daher verfüge ich, dass die Hauptverhandlung in einundzwanzig Tagen, von heute an gerechnet, stattfindet. In dieser Zeit wird der Staat Zeugen aufbieten und Beweise erbringen, der Jugendliche bleibt bis zu diesem Termin in Arrest. Ich ordne jedoch an, dass der Jugendliche diesen Samstag in die Obhut von Officer Brazil entlassen wird.« Sie sah Weed an. »Um wieviel Uhr fängt die Parade an?«
»Halb elf«,
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