Kreuzberg
Eigeninitiative
zeigen!« Den letzten Satz spricht sie sehr deutlich und hochdeutsch, um dann
wie gewohnt weiterzuschwurbeln. »Da lob ick mir meine Stütze. Mich lassense
wenigstens in Ruhe.«
»Wo ist
denn der Wagen?« Hünerbein sieht suchend die Straße rauf und runter.
»Na, weg«,
sagt die Nachbarin. »Den haben die Bullen abjeschleppt. ’n schicker Mercedes, E-Klasse,
keene zwei Jahre alt.«
»Eben
sagten Sie doch noch, der wäre mit ’ner Kralle blockiert worden?«
»Det war
nur die erste Maßnahme.« Die Nachbarin grinst. »Kaum war die Steuertrulla weg,
sind die Türken mit ’ner Eisensäge angerückt und ha’m versucht, die Kralle
wieder abzufriemeln. Und wissense, wer dann die Bullen jerufen hat?«
Nee.
»Die Leute
von der Zyankali-Bar!«
Das ist in
der Tat verblüffend. Dass ausgerechnet die Betreiber von Berlins berüchtigtem
»Institut für Unterhaltungschemie« dem Staat zu seinem Recht verhelfen, ist
nicht ohne Komik.
»Die
fürchten eben auch die Steuerfahndung«, vermutet Hünerbein. »Jetzt haben sie
beim Finanzamt einen Stein im Brett.«
»Aber nicht
bei den Misirlioglus«, erwidert die Nachbarin und zeigt auf die Bar. Irgendwer
hat »We kill you all« auf die heruntergelassenen Jalousien
gesprayt. »Det war jestern noch nich da.«
Interessant.
»Wie viele Misirlioglus gibt es denn?«
»Mindestens
fünf.« Die Frau spreizt die Finger. »Da sind erst mal die Ayse und der Hüseyin,
dann die Söhne Cemir und Orhan. Ziemlich kräftige Burschen, sag ich Ihnen. Und
Fatma, det ist die Tochter, aber die hab ick hier schon lange nicht mehr
jesehen.«
»Danke.«
Hünerbein reicht ihr seine Karte. »Falls Ihnen noch was einfällt.«
Zu Fuß
machen wir uns auf den Weg zur Markthalle. Immer die Gneisenaustraße lang, wo
es diverse Bars, Eckkneipen, Swingerclubs und jede Menge Zeitungs- und
Lottoläden gibt. Zudem fallen die vielen arabischen Trödler auf, die
Wasserpfeifen und nachgemachten orientalischen Plunder verkaufen und sich vollmundig
selbst als Kunst- oder Antiquitätenhändler bezeichnen.
Nach ein
paar Metern geht rechts die Zossener Straße ab, wo sich neben dem »Europäischen
Zentrum der eschatologischen Erweckungsbewegung« und unter dem giftgrünen
Neonkreuz einer protestantischen Freikirche die Markthalle am Marheineckeplatz
befindet.
Wir
schieben uns in der Menge einkaufender Kiezbewohner zwischen Wurst-, Fleisch-
und Käsetheken durch, an Backstuben, Schmuckständen, Fischhändlern und
Kunstgewerbetreibenden vorbei und finden den Blumenstand verwaist und
geschlossen.
»Hüseyin
nicht da«, erklärt uns der Obst- und Gemüsehändler nebenan. »Hatte Stress
gestern mit Steuer.«
»Wo ist er
denn hin?«, erkundige ich mich.
»Weiß
nicht.« Der Gemüsehändler sieht sich verstohlen um und kommt dann näher heran.
»Ihr seid Bullen, was?« Er grinst. »Könnt ihr ruhig zugeben, ich rieche Bullen
drei Kilometer gegen den Wind. Und ihr wollt Hüseyin wegen der Sache gestern
richtig in die Scheiße reiten, korrekt?«
»Eigentlich
wollten wir ihn nur befragen.«
»Ich hab
ihm gleich gesagt, das wird so nichts«, erklärt der Gemüsehändler. »Du kannst
die Steuertussi vielleicht verjagen, aber das wird nichts nutzen, hab ich
gesagt. Das lässt er nicht mit sich machen, der deutsche Staat. Die kommen
wieder. Die schicken die Bullen. – Und nun seid ihr da.«
»Haben Sie
eine Ahnung, wo sich Herr Misirlioglu derzeit aufhält?« Hünerbein zückt seinen
Notizblock.
»Seh ich so
aus, als ob ich Landsleute verrate?«
»Sind Sie
mit den Misirlioglus verwandt?«
»Allah sei
Dank, nein.« Der Gemüsehändler lacht schallend. »Glück gehabt, was?«
»Wie man’s
nimmt.« Hünerbein klappt seinen Notizblock wieder zu. »Schließen Sie Ihren
Stand, Sie sind vorläufig festgenommen.«
Eine Melone
klatscht auf den Boden und platzt auf. Der Gemüsehändler hat sie fallen lassen.
Verdattert starrt er uns an.
»W-was hab
ich getan?«
»Sie
verweigern die Aussage«, erklärt Hünerbein. »Dazu haben Sie aber kein Recht.
Sie sind nicht mit Herrn Misirlioglu verwandt, und ich nehme an, Sie würden
sich durch eine Aussage auch nicht selbst belasten. Wir nehmen Sie in
Beugehaft, bis Sie reden. Alles klar?«
Der
Gemüsehändler guckt uns aus großen Augen an.
»Sie können
uns auch einfach sagen, wo der Hüseyin jetzt steckt«, helfe ich ihm auf die
Sprünge, »und alles ist gut.«
»Bei Allah,
ich weiß es nicht«, versichert der Gemüsehändler und hebt hilflos die
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