Kreuzberg
Strampler in die Hand.
»Im Keller hab ich noch eine Babywiege und einen Kinderwagen, glaube ich. Ich
richte das noch ein bisschen her, dann kannst du die auch haben.«
Ratlos
starre ich auf die Strampelanzüge in meiner Hand. Ich bin dankbar und verwirrt
zugleich. Einerseits rührt mich Hünerbeins Fürsorge. Andererseits macht sie mir
auch klar, wie sehr sich mein bislang recht ruhiges Leben in Kürze verändern
wird. Ich fühle eine seltsame Anspannung in mir. Ist es Angst? Vor der
Verantwortung? Davor, dass mein Leben total umgekrempelt wird? Eigentlich war
doch alles gut, so wie es war. – Oder?
»Nun mach
nicht so ein Gesicht.« Hünerbein grinst gutmütig. »Das musst du nicht bezahlen.
Ich schenk dir das Zeug.«
»Ja, vielen
Dank auch.«
Mit
weichen Knien folge ich ihm zum Finanzamt, das mit seinen Zinnen und Türmen wie
eine alte Trutzburg wirkt. Es ist samstags natürlich geschlossen. Erst nachdem
wir zweimal um das Gebäude herumgelaufen sind und an allen Türen gerüttelt
haben, taucht ein Wachmann auf.
»Es ist
Wochenende. Kommen Sie am Montag wieder!«
»Wir sind
aber jetzt da.« Ich zeige dem Wachmann die Kripomarke. »Uns interessieren die
Akten, die Swantje Steffens bearbeitet hat. Würden Sie uns bitte reinlassen?«
»Das kann
ich nicht.« Der Wachmann schüttelt nachdrücklich den Kopf. »Einsicht in die
Akten kann Ihnen nur Frau Steffens selbst geben, und die ist, wie gesagt, im
Wochenende.«
»Falsch«,
sage ich, »sie ist tot.«
Der
Wachmann starrt uns entsetzt an. »Tot?«
»Mausetot«,
nickt Hünerbein. »Deshalb sind wir hier.«
»Also, ich
kenne Frau Steffens nicht persönlich.« Der Wachmann atmet hörbar aus. »In
welcher Abteilung hat sie denn gearbeitet?«
»Vollzug«,
antworte ich. »Sie muss gestern einen Termin gehabt haben, darauf deutet ein
Eintrag in ihrem Taschenkalender hin.« Ich zeige dem Wachmann die entsprechende
Seite. »Vz. H.M. Fahrzeugpfändung
13.00 Uhr«, ist da für den gestrigen Freitag vermerkt. »Wir müssen wissen,
was das genau bedeutet.«
»Puh«,
macht der Wachmann. »Also da muss ich erst mal telefonieren.«
»Tun Sie
das.« Ich stecke mir eine Zigarette an. Wir warten.
»Musst du
schon wieder rauchen?« Hünerbein wedelt sich ostentativ vor der Nase herum.
»Willst du
auch eine?« Ich halte ihm die Schachtel hin.
»Damit
ruiniert man sich doch nur die Gesundheit.« Hünerbein seufzt. »Was soll’s«,
sagt er schließlich und nimmt sich eine Zigarette. »Ist eh egal.«
Ich gebe
ihm Feuer, und Hünerbein inhaliert. Dann grient er. »Man stirbt nur einmal,
was?«
Ja, denke
ich, und das sollte man genießen.
Wir
warten eine geschlagene Stunde und rauchen jeder noch drei weitere Zigaretten,
bis endlich jemand kommt und uns zu den Akten der Vollzugsstelle vorlässt. Der
Wachmann musste erst irgendeinen zuständigen Finanzbeamten aus dem Samstag
telefonieren. Entsprechend schlecht gelaunt knallt uns der Mann mehrere
Aktenordner auf einen wackeligen Tisch in den scheinbar endlosen Gängen des
Amtes.
»Hier! Die
Fälle von Frau Steffens.« Er schiebt uns ein Formular zu. »Wenn Sie diese
Erklärung noch unterschreiben würden. Datenschutz.«
»Aber
gerne.« Hünerbein unterschreibt.
Ich
blättere die Akten durch. Am gestrigen Freitag hatte sie tatsächlich eine
Autopfändung.
»Bei
Hüseyin Misirlioglu«, lese ich laut. »Großbeerenstraße 64.«
Fünf
Minuten später sind wir da. Hüseyin Misirlioglu wohnt im ersten Stock direkt
über der Zyankali-Bar. Auf unser Klingeln öffnet niemand, es scheint keiner zu
Hause zu sein.
»Die sind
tachsüber nie da«, erklärt uns die Nachbarin, »außer sonntachs. Die arbeiten
alle.«
»Wo?«,
erkundigt sich Hünerbein.
»Ayse putzt
irgendwo, und er steht inna Markthalle am Blumenstand.« Die Nachbarin lächelt
bitter. »Aber’t scheint ja nich zu reichen, wa?«
»Wie meinen
Sie das?«
»Na, hörnse
uff.« Die Nachbarin winkt ab und geht mit uns vor die Tür. »Sie ahnen ja nich,
wat hier jestern los war. Da hat ihm so ’ne Trulla vom Finanzamt ’ne Kralle ans
Auto jeschraubt. Er is natürlich sofort dazwischen. Ich meine, det wär mir ooch
peinlich, wenn se mir die Räder blockier’n. Aber bei die Türken is det ja dann
gleich so ’n Ehrding, wa?«
»Der Herr
Misirlioglu wurde der Finanzbeamtin gegenüber gewalttätig?«
»Anjeschrien
hatta se!« Die Nachbarin tippt sich gegen die Stirn. »Der fässt keenen hart an.
Is doch wahr: So wer’n die bestraft, die wat tun. Die sozusagen
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