Kreuzberg
zusammen.
»Ja, wollt
ihr jetzt alle fort, oder was? Ich hab auch wichtige Termine«, ruft Palitzsch
mit einem Anflug von Verzweiflung. »Ihr könnt mich doch mit dieser
Schreckschraube nicht allein lassen!«
»Ich werde
das übernehmen, Edmund«, sagt Beylich beruhigend. »Geh nur zu deinem Termin.«
Palitzsch
wird ihm wohl um den Hals gefallen sein, aber das sehe ich nicht mehr.
Wir
verlassen unser Dienstgebäude und laufen über den Parkplatz auf dem Hof.
»Hast du
gemerkt, wie ihm Beylich wieder in den Arsch gekrochen ist«, ätzt Hünerbein.
»Der wird den Laden hier am Ende übernehmen, wart’s ab.«
Unsinn, denke
ich. Erstens kann Beylich so schnell gar nicht befördert werden. Wir sind eine
Berliner Polizeibehörde, bei uns fällt niemand die Karriereleiter rauf.
Befördert wird, wer am längsten dabei ist. Basta. Zum Zweiten sind Beylich und
Palitzsch ungefähr gleich alt. Das heißt, sie gehen auch gleichzeitig in
Pension.
»Um
Palitzschs Nachfolge werden wir uns irgendwann kloppen, Hünerbein.«
»Wieso?«
Hünerbein schnappt nach Luft. »Bist du etwa scharf auf den Job?«
»Klar. Du
nicht?«
»Schon.«
Hünerbein ringt um Fassung. »Aber dass du auch Karriere machen willst …
Das ist mir neu.«
»Die Zeiten
ändern sich.« Ich stehe vor seinem Wagen. »Du fährst, Partner! Ich stehe immer
noch unter Restalkohol.«
8 VON DER
INSPEKTION M 1 in der Keithstraße sind es zehn,
je nach Verkehrslage auch fünfzehn Autominuten bis zur ehemaligen
Garde-Dragoner-Kaserne am Mehringdamm. In diesem denkmalgeschützten Prachtbau
befindet sich heute das Finanzamt jenes Bezirkes, den einige Leute als größte
türkische Stadt außerhalb der Türkei bezeichnen. Dabei leben hier nicht
vorrangig Türken, ganz im Gegenteil, dies ist ein Schmelztiegel der
Verschiedenheit.
Man fährt
nicht nach Kreuzberg, man taucht ein. Hier hat jeder Wahnsinn, jede Region und
jede Religion ihr Zuhause. Es ist wie eine Reise durch die Welt.
Gleich
hinter den dreiunddreißig verrosteten, mit Graffiti besprühten Eisenbahnbrücken
über die Yorckstraße beginnt sie mit dem besetzten Haus Yorck 59. Es
folgen afrikanische Ethnoshops, ayurvedische Praxen, Läden der Teekampagne und
alternative Frauenprojekte. Im Café »Wirtschaftswunder« werden mit
Nierentischen, Trompetenlampen und Jukeboxcharme die fünfziger Jahre wieder
heraufbeschworen, im »Yorckschlösschen« gegenüber leben die Bohème, der
Existenzialismus und der Jazz. Es gibt den buddhistischen Tempel der
tibetischen Gemeinde und das Rada-Voodoo-Zentrum Berlin. Vor Riehmers barockem
Hofgarten hat die »Deutsche Gesellschaft prinzipieller Sexverweigerer« einen
Infostand aufgebaut, und am »New Yorck« wechseln sie die Kinoplakate aus. Ab
sofort läuft hier »Prospero’s Books« in OmU.
Hünerbein
biegt links in den Mehringdamm ein, sucht einen Parkplatz. Auf der anderen
Straßenseite liegen die riesige Imbisshalle »Curry 36« und die »Berliner
Kabarett Anstalt«, kurz BKA . Hier feiern »Die Bastarde«
Heinz-Werner Kraehkamp und Guntbert Warns furiose Erfolge, begeistert der
Holländer Hans Liberg mit seinem neuen Programm »Wurzel Bach Live«.
Hünerbein
blinkt links, quert den Mittelstreifen nach der U-Bahn-Station und fährt auf
den Parkplatz hinter dem Finanzamt. Aber auch hier ist nichts frei.
Hünerbein
flucht, legt den Rückwärtsgang ein und verlässt den Parkplatz wieder. Nach
einigen vergeblichen Runden den Mehringdamm hoch und runter finden wir endlich
eine freie Parkbucht in der Baruther Straße vor einem Gebäude, an dem ein mit
Motiven aus dem Kamasutra verziertes Schild auf die »Tantrische
Nackttanzakademie« hinweist.
»Sie werden
heute eine interessante Erfahrung machen«, murmelt Hünerbein verblüfft.
»Bitte?«
»Steht so
in meinen Horoskop.« Hünerbein guckt nach den Öffnungszeiten der Akademie.
»Vielleicht ist ja das damit gemeint.«
»Tantrisches
Nackttanzen.« Ich pruste los. Großartige Vorstellung: der dicke Hünerbein im
Panca-Tattva-Ritus vereint mit seiner Catherine.
»Schön,
wenn du dich amüsierst«, knurrt Hünerbein und öffnet den Kofferraum, um ein
paar rosa und himmelblaue Strampler herauszuholen. »Hier! Hab ich dir
rausgesucht.«
»Was soll
ich damit?«
»Für deinen
Nachwuchs. Die haben schon meine Kinder getragen. Die blauen sind für Jungs,
die rosafarbenen für Mädels.«
»Na, ich
bekomme doch hoffentlich nur ein Kind.«
»Du weißt
aber noch nicht, was es wird.« Hünerbein drückt mir die
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