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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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der?
    Er weiß
fast alles über mich, dachte Meyer. Er hat mich vor Gericht verteidigt, kennt
meine Situation inzwischen besser als ich. Aber was weiß ich von ihm?
    Bislang
hatte Meyer seinem Anwalt immer bedingungslos vertraut. Früher war er dessen
Führungsoffizier und hatte den Weg und Werdegang Naumanns sorgfältig geplant
und aufgebaut. Seine Aufgabe als Westberliner Rechtsanwalt und Notar war,
diskret über Strohmänner für die DDR Immobiliengeschäfte im
Westen zu tätigen. Er organisierte auch den Verkauf von DDR -Liegenschaften,
wie etwa Anlagen der Deutschen Reichsbahn, sorgte für konspirative Wohnungen
und verteidigte verdiente Kader und Genossen vor der westdeutschen Justiz.
Inzwischen galt der mehrfach promovierte und an der Uni dozierende Heribert
Naumann als anerkannter Rechtswissenschaftler und einer der hervorragendsten
Interpreten des Grundgesetzes.
    »Wer sind
wir?«, fragte Meyer nach einer Weile.
    Naumann
verstand nicht gleich und legte fragend den Kopf schief. »Bitte?«
    »Sie hatten
gesagt ›wir‹ .« Meyer betonte es deutlich. »Nicht ›ich habe das überprüfen
lassen‹, sondern › wir haben das überprüfen lassen‹ und › wir machen uns Sorgen‹.« Er fixierte seinen Anwalt genau, um ja keine Regung in
dessen Gesicht zu verpassen. »Die Frage ist: Wen meinen Sie mit ›wir‹?«
    Naumann
brauchte einen Moment. »Ja, uns halt«, sagte er dann, wusste aber, dass er
damit nicht durchkam. »Den KGB «, gestand er schließlich.
    Ja, dachte
Meyer, das soll ich wenigstens glauben. Aber du bist ein geachteter Mann
geworden in der Bundesrepublik. Die DDR ist untergegangen, und wer
weiß, wie lange es die Sowjetunion noch gibt. Die BRD dagegen wird auf absehbare Zeit weiter existieren, so viel ist klar. Und du,
Naumann, hast nur dieses eine Leben. Und einen untadeligen Ruf. Bist du bereit,
diesen zu riskieren? Für den KGB ?
Für eine Utopie, deren Bestand unsicherer nicht sein kann? – Meyer
entschied sich für den Angriff.
    »Ich denke
nicht«, sagte er und blieb stehen, »dass Sie es darauf anlegen, mir hier in
Tegel bald Gesellschaft zu leisten.«
    Naumann
stutzte. Er war eindeutig sehr verunsichert, sagte aber nichts.
    »Ich bin
zwar kein Jurist«, Meyer kratzte sich nachdenklich das Haupt, »aber wenn ich
das recht verstehe, bereiten wir gerade eine Verschwörung vor.«
    »Eine
Verschwörung?« Naumann fröstelte.
    Tatsächlich
war es heute kühler als in den vergangenen Tagen, obwohl die Gewitter, die sie
im Wetterbericht für den Berliner Raum vorhergesagt hatten, in der Nacht
ausgeblieben waren.
    »Eine
Verschwörung gegen die Bundesrepublik Deutschland«, präzisierte Meyer und
verzog spöttisch das Gesicht. »Au weh! Wenn das rauskommt, sitzen wir ganz
schön in der Patsche, was Naumann?«
    »Wie sollte
das rauskommen?« Naumann starrte seinen ehemaligen Führungsoffizier entgeistert
an.
    »Keine
Ahnung.« Meyer lauerte. »Wissen Sie’s?«
    Dem Anwalt
hatte es die Sprache verschlagen.
    »Wie lange
werden wir sitzen, was meinen Sie? Zehn Jahre? – Kommen Sie«, höhnte
Meyer, »Sie sind doch Anwalt! Sie müssen doch wissen, wie viel Knastjahre eine
Verschwörung bringt.«
    »Wollen
Sie«, Naumann flüsterte es fast, »aus der Sache aussteigen?«
    »Wollen
Sie’s? Oder sind Sie schon ausgestiegen, Naumann?«
    »Sie
misstrauen mir?«
    »Ich sitze
hier in Tegel«, antwortete Meyer, »weil ich zu vertrauensselig war. Dabei haben
wir es doch alle mal gelernt: Misstraue jedem außer dir selbst. Wie könnte ich
Ihnen also vertrauen?« Er lief langsam weiter. »Sie sind hierhergekommen, um von
mir zu erfahren, welche unserer alten Genossen noch aktiv sind. Welche ich für
besonders loyal und zuverlässig halte. Aber wie kann ich das wissen?« Meyer sah
Naumann, der ihm gefolgt war, von der Seite her an. »Und wenn ich es
wüsste – wem gebe ich meine Informationen?«
    »Wir
arbeiten seit fast fünfzehn Jahren zusammen, Meyer.« Naumann regte sich auf.
»Sie sollten mich kennen!«
    »Sollte ich
das?« Meyer blickte über den nur spärlich begrünten, mit grauen Zäunen
eingegrenzten Hof auf die dahinter liegende Gärtnerei. Hier bauten sie Obst und
Gemüse an. Vor allem Kohl für die Gefängnisküche. »Ich will Ihnen einen
Vorschlag machen. Zu unserer beider Absicherung: Sagt Ihnen Deckname Cordula
etwas?«
    »Nicht auf
Anhieb. Wer soll das sein?«
    »Sie
arbeitete früher bei der Hauptabteilung zwo. War in die Olbrich-Sache
involviert.«
    »Ah«,
machte der Anwalt und nickte,

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