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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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als
wir gekommen sind.«
    »Du willst
mir erzählen, dass die Tür schon auf war?«
    »Geknackt«,
nickt Orhan. »Eingetreten vermutlich.«
    »Moment
mal«, mische ich mich wieder ein, »ihr wart in der Wohnung!«
    »Ja«, nickt
Orhan, »aber wir haben die Tür nicht eingetreten. Als wir kamen, stand sie
schon offen, und in der Wohnung war totales Chaos. Wir haben da nichts mitgehen
lassen. Irgendwer war vor uns da.«
    »Wir
wollten zu Frau Steffens«, springt ihm sein Bruder bei. »Mit ihr reden, damit
sie uns das Auto gibt. Aber sie war nicht da. Und weil die Tür offen
stand …«
    »… seid
ihr rein, um die Schlüssel für das Auto und die Parkkralle zu suchen?«
    »Genau.«
Cemir nickt. »Wir brauchten das Auto dringend, weil …« Er will
weiterreden, wird aber von Ayse gestoppt.
    »Kapa çeneni«, ruft sie barsch, »sei still!«
    Augenblicklich
schweigen die Jungs. Eine Wanduhr tickt. In der Küche hört man das Teewasser
kochen.
    »Warum soll
er still sein?« Ich gehe ein paar Schritte auf die Frau des Blumenhändlers zu.
»Was verdammt noch mal ist hier los?« Sie weicht meinen Blicken aus, doch ich
zwinge sie, mich anzusehen. »Was ist an diesem Wagen so wichtig, dass ihr dafür
raubt, einbrecht, Polizisten verletzt und mordet?«
    »Mord
nicht«, ruft Orhan, »bei Allah, ich schwöre: Wir haben niemanden umgebracht!«
    »Aber
totgeschlagen, ja?« Ich reiße mir das Basecap vom Kopf und zeige ihm meine
Tonsur mit der genähten Wunde. »Hier! Wäre der Schlag ein wenig kräftiger gewesen,
dann …«
    »Wir sind
keine Mörder«, schreit Cemir, und es klingt, als fange er gleich an zu weinen,
»das müssen Sie uns glauben!«
    Auch Orhan
will etwas sagen, doch Ayse geht wieder dazwischen und verbietet ihren Söhnen
erneut den Mund. Ich verstehe nicht genau, was sie ihren Söhnen auf Türkisch
sagt, sinngemäß etwas wie: Es sei nicht gut, mit Polizisten darüber zu
sprechen, das gefährde Fatmas Leben.
    »Wessen
Leben?« Ich fahre herum und sehe Ayse fragend an. »Was geht hier vor, verdammt
noch mal? Raus mit der Sprache.«
    Die Söhne
diskutieren heftig mit ihrer Mutter. Ein lautstarkes Wortgefecht beginnt, es
geht hin und her.
    Beylich
verzieht genervt das Gesicht.
    »Schluss
jetzt«, brülle ich, denn ich habe mich an das Gespräch mit der Nachbarin heute
Vormittag erinnert. »Fatma ist Ihre Tochter, nicht wahr?«
    Ayse senkt
trotzig den Blick und schweigt.
    »Eure
Schwester«, ich wende mich Cemir und Orhan zu, »was ist mit ihr? Wo steckt
sie?«
    »Sie …«
Orhan sieht entschuldigend seine Mutter an. »Sie wurde entführt.«
    Entführt?
»Von wem?«
    »Wissen wir
nicht.« Cemir deutet auf den Fernseher. »Im Videorekorder steckt ein Band.«
    Beylich
schaltet das Fernsehgerät an und startet den Rekorder. Es flimmert zunächst,
dann sieht man ein etwa achtzehnjähriges Mädchen gefesselt auf einem Stuhl vor
einer schmuddeligen, zu grell ausgeleuchteten Ziegelwand.
    Fassungslos
starre ich auf den Bildschirm. Nicht auch noch das, denke ich. Erpresserische
Entführungen sind der Alptraum eines jeden Ermittlers. Ein Rennen gegen die
Zeit, und du weißt nicht, wie du es gewinnen sollst. Weil du keinerlei
Anhaltspunkte hast.
    »Tut, was
sie verlangen«, ruft das Mädchen ängstlich in die Kamera, »sonst bringen sie
mich um!« Dann hält jemand einen maschinegeschriebenen Zettel ins Bild: »Bleibt
am Telefon! Wir melden uns! KEINE POLIZEI !!!«
Das Bild erlischt. Wir starren in weißes Rauschen.
    Beylich
schaltet den Fernseher aus. »Das Band müssen wir mitnehmen.« Er zieht es aus
dem Rekorder und lässt es mit spitzen Fingern in eine Plastiktüte fallen, die
Matuschka aus seiner Sakkotasche gezogen hat und für ihn aufhält.
    »Ist dir
nicht gut?«, fragt er mich. Ich muss furchtbar aussehen. »Alles in Ordnung?«
    Nee, gar
nicht, wie auch? Ich bin wie gelähmt. Denn jetzt ist es kein x-beliebiger Mord
mehr. Jetzt geht es um ein Leben. Da wird ein junges Mädchen gefangen gehalten,
irgendwo in einem Keller. Wie viele Keller mag es wohl geben in dieser Stadt?
Hunderttausende? Eine Million? Wo soll man suchen? Ich weiß es nicht.
    »Kam noch
was?«, frage ich die Jungs, und meine Stimme klingt wie aus weiter Ferne.
»Irgendwelche Forderungen?«
    »Die riefen
dann an«, erzählt Orhan, »wollten hunderttausend.«
    »Aber wir
haben keine hunderttausend«, rief Cemir dazwischen. »Wir können ja nicht mal
das Finanzamt bezahlen!«
    »Vater hat
ihnen dann das Auto angeboten«, sagt Orhan.
    »Den
Mercedes?«

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