Kreuzberg
Zyankali-Bar zu Fall gebracht,
indem er ihm locker ein Bein stellt. Matuschka stürzt sich auf ihn.
Ich wetze
wie ein Irrer dem Zweiten hinterher, der in die andere Richtung flieht und
plötzlich in einem Hauseingang hinter dem »Schwäbischen Biofoodshop«
verschwindet. Mein Kopf fängt wieder an zu schmerzen, das Blut pocht in den
Schläfen.
Nicht nachlassen,
sporne ich mich an, das ist der Kerl, der dir den Schädel einschlagen wollte.
Schnapp ihn dir!
Es geht
über zig Mülltonnen im Hof des Hauses, die wild durcheinanderpurzeln und ihren
Inhalt verstreuen. Ich rutsche auf weggeworfenen Babywindeln und verfaulten
Salatköpfen aus, kann mich aber auf den Beinen halten und springe auf einen
Sperrmüllcontainer. Der Junge hält sich links, rennt in einen weiteren Hof. Na
warte!
Ich hechte
ihm nach, innerlich jede Zigarette verfluchend, die ich in meinem inzwischen
bald fünfundvierzigjährigen Leben geraucht habe – es müssen Tausende sein.
Und jede einzelne sticht in der Lunge.
Der Junge
flieht in eine Toreinfahrt, ich bleibe atemlos an ihm dran. Es geht durch den
Hausflur in die Wartenburgstraße und durch das schmiedeeiserne Portal des
Gertrauden-Hospitals gegenüber. Dieses palastartige dreiflügelige
Backsteinensemble steht unter Denkmalschutz und hat einen parkähnlichen Vorhof,
dessen Zentrum ein großer Springbrunnen füllt. Das Wasser ist abgestellt, das Becken
so gut wie leer. Von der Seite sehe ich Beylich angerannt kommen, die
Dienstpistole schussbereit in den Händen. Ich versuche, dem Jungen den Weg von
der anderen Seite abzuschneiden. Um uns noch zu entkommen, müsste er durchs
leere Becken des Springbrunnens fliehen. Er versucht das auch, rutscht aber auf
dem glitschigen, von alten Algen bewachsenen Untergrund aus. Sekunden später
liegen wir auf ihm drauf.
»Das
war’s«, keuche ich und drehe ihm die Hände auf den Rücken, um ihm Handschellen
anzulegen.
Beylich
reicht sie mir, und ich lasse sie einrasten.
»Das
war’s«, wiederhole ich. »Ende!«
»Den
anderen hat Matuschka.« Auch Beylich ist völlig außer Atem. Kein Wunder, der
ist bestimmt zehn Jahre älter als ich, wenn auch Nichtraucher.
Wir
versuchen, uns aufzurichten, rutschen aber immer wieder auf dem grünglitschigen
Grund des Beckens aus. Es ist wie in einer dieser bekloppten Gameshows auf RTL ,
wo sich die Kandidaten in irgendwelchen Matschlöchern suhlen müssen.
Wir
jedenfalls haben einige Mühe, mit unserem Gefangenen das vom Algenschlamm
feuchte und nach allen Seiten abgerundete Springbrunnenbecken zu verlassen, und
sehen am Ende aus wie verdreckte Säue. – Ekelhaft!
14 INGA LENZ RADELTE durch den
Viktoriapark.
Menschen
lagen auf den Wiesen in der Sonne und lasen. Andere machten Musik oder
grillten. Oben am Denkmal schauten Touristen über die Stadt und sahen den
Trommlern zu, die hier für ein Handgeld schnelle Rhythmen auf Steelbounds
schlugen. Ein paar Mädchen tanzten.
Früher
hatte Inga Lenz diesen Park geliebt. Seine alten Bäume, die saftigen Wiesen,
die Stille.
Und den
romantischen Wasserfall. Hier hatten sie gesessen, die ersten Joints geraucht
und über den Sturz des Systems diskutiert. Heute gehörte Inga Lenz selbst zum
System. Es hatte damals nur zwei Entscheidungen gegeben: entweder bewaffneter
Kampf im Untergrund oder der Marsch durch die Institutionen. Inga hatte sich
für Letzteres entschieden. Die RAF hatte mit ihren
Einzelaktionen nichts bewirkt. Im Gegenteil. Es war alles schlimmer geworden.
Es gab wieder Notstandsgesetze und Berufsverbote. Die Institutionen schlugen
zurück. Also musste man sie von innen her aufweichen.
Fast
vierzehn Jahre war sie nun schon bei der Berliner Polizei. Allein unter
Männern. Aber es wurde besser. Inga hatte Kampagnen gestartet, »Dem Täter auf
der Spur: Mädchen in die Kriminalistik!«, Informationsveranstaltungen in
Jugendheimen und Frauenhäusern organisiert und einen Bewerberinnen-Atlas für
junge, am Polizeidienst interessierte Frauen entworfen. Das Männermonopol
musste gebrochen werden. Sonst würde sich nie etwas ändern.
Noch immer
wurden Einbruchsdiebstähle härter geahndet als Kindesmisshandlungen, durften
Ehefrauen von ihren Männern ungestraft geschlagen und sexuell missbraucht
werden. Mädchen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden, trauten sich oft nicht,
Anzeige bei der Polizei zu stellen. Weil da Männer saßen. Männer, die alles
ganz genau wissen wollten. Das war dann wie eine zweite Vergewaltigung. Und
wenn es dann doch mal zu
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