Kreuzberg
auf.
»Herrgott,
was ist denn noch?«
Er will mir
nur den rosa Plastikpenis geben. Den hätte ich beinah vergessen!
»Weder
beinah noch vergessen«, erwidere ich, kann den Barmann aber nicht davon
überzeugen, das Ding selbst zu entsorgen. Notgedrungen klemme ich mir den Penis
unter den Arm und renne den protestierenden Emanzen nach.
Der Mann
mit der Browning hat sich unter die Weiber gemischt, und ihm passiert nichts.
Warum kriegt der eigentlich keinen Penis über den Kopf gestülpt? Der Kerl ist
sogar bewaffnet, also grundsätzlich gewaltbereit.
Ich kämpfe
mich zwischen kreischenden Mädels mit Rasseln, Tröten und Knattern näher an ihn
heran. Auf dem Mehringdamm ist die Hölle los. Von allen Seiten strömen
trommelnde Großstadtindianerinnen hinzu, wütende Migrantinnen, ausgerissene
Provinzmädchen, geschiedene Ehefrauen und Neuköllner Rockerinnen, Transsexuelle
und »Tunten gegen Frauengewalt!«.
Haha, denke
ich, Frauengewalt ist gut. Ich bin auch gegen Frauengewalt. Meine Sonnenbrille
haben sie mir kaputt gemacht, diese gewaltbereiten Weiber! Uniformierte
Polizisten werden mit Wasserpistolen nass gespritzt.
Wieder hört
man eine, diesmal weibliche, Lautsprecherstimme. »Hier spricht die Polizei!
Machen Sie die Straßen frei, sonst sind wir gezwungen …«
Vielstimmiges
Gebuhe von allen Seiten. Tröten und Trompeten, Gebimmel und Getrommel. Der Rest
der Ansage ist nicht mehr zu verstehen.
Ich habe
immer mehr Mühe, mit meinem sperrigen Plastikpenis zwischen all den Leuten am
Browning-Mann dranzubleiben. Immerhin haben ihm irgendwelche witzigen Frauen
die Krawatte abgeschnitten, als wäre Weiberfastnacht. In der Kreuzbergstraße
wird es dann sehr eng. Es ist ein Geschiebe und Gedränge, und es geht kaum noch
vorwärts. Sprechchöre skandieren, ich verstehe nicht genau was: Es geht wohl um
Frauenpower, und dass wir Männer uns jetzt in Acht nehmen sollen vor der
geballten Weibermacht. Oder so ähnlich. Mir würde es schon reichen, wenn sie
mir den Kerl mit der Browning nach hinten durchreichen würden. Damit ich ihn
vernehmen kann. Was wollte er in der Wohnung von Swantje Steffens? Was hat er
da gesucht? Der Fall wird immer rätselhafter, und ich kann ihn nicht lösen,
weil ich feststecke zwischen schwitzenden Feministinnen, die offensichtlich nur
eines wollen: den Golgatha-Täter zur Strecke bringen.
Plötzlich
kommt wieder Bewegung in den Zug, und ich werde mit Hunderten von kreischenden
Frauen in den Viktoriapark gespült. Dort löst sich die Menge etwas auf, und ich
kann wieder freier atmen.
Wo aber ist
der Mann mit der Browning?
Suchend
laufe ich mit meinem Plastikpenis durch den Park. Überall hängen Transparente gegen
sexuelle Gewalt zwischen den Bäumen. Auf Parkbänke, Steine und Wege wurde
überall derselbe Spruch gesprayt: » VERGEWALTIGER:
WIR KRIEGEN DICH! «
Auf der
großen Wiese unterhalb des Viktoriadenkmals ist eine kleine Bühne errichtet
worden, auf der wütende Mädchenbands wie die glutäugigen »Anatolischen Huren«
mit harten Gitarrenriffs gegen die Fremdbestimmung durch Väter und Brüder,
sexuelle Gewalt und gesellschaftliche Benachteiligung anrocken.
Ein
Stückchen weiter veranstalten die Tempelhofer »Cowgirls« ein wildes
Rodeospektakel, dessen Erlöse den Opfern von Vergewaltigungen gespendet werden.
Vereinzelt sind Plakate im Western-Stil zu sehen: »Hängt ihn höher!«
Damit ist
der Golgatha-Täter gemeint. Er wird hier auch für den Mord an Swantje Steffens
verantwortlich gemacht, das bekomme ich aus diversen Gesprächsfetzen mit. Immer
wieder sehe ich Gruppen empörter Feministinnen, die lautstark den »Sexualmord«
von Freitagnacht als logische Folge der fast fünftausendjährigen
Gewaltherrschaft eines latent frauenfeindlichen Patriarchats beklagen.
Erschöpft
setze ich mich auf eine Bank und stecke den Plastikpenis in den Mülleimer
daneben. Es ist zwecklos, ich werde den Mann mit der Browning nicht mehr
finden. Wo soll ich ihn suchen? Der Kerl ist weg und kann überall hin sein.
»Müssen Sie
immer provozieren?«
Inga Lenz
steht breitbeinig vor mir und sieht vorwurfsvoll auf den Plastikpenis, der aus
dem Mülleimer ragt wie ein riesiger Phallus. Ich könnte ihr erklären, dass es
ihre eigenen Leute waren, die mir das Ding aufgedrückt haben. Ich könnte darauf
hinweisen, dass ich mich des rosa Penisses gerade deshalb entledigt habe, weil
ich niemanden damit provozieren will. Auf diesem Fest weiblicher Emanzipation.
Aber warum sollte ich mich vor Inga
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