Kreuzberg
Wie eine Flunder an die Wand gepresst, zwischen Tür
und Schminktisch.
Lang werde
ich das so nicht durchhalten. Zumal ich seit gut einer Minute den Atem anhalte.
Wenn der Kerl nicht endlich reinkommt, werde ich noch bewusstlos
zusammensacken.
Nun mach
hin, denke ich angespannt, lass uns das hier zu Ende bringen. Du oder ich, es
kann nur einen geben.
Aber der
Kerl kommt nicht rein. Ich habe es im Gefühl. Der haut einfach ab. Mit seiner
Browning macht er die Fliege, verdammter Mist!
Ich stürze
ins Wohnzimmer zurück, höre ihn die Treppe im Hausflur hinunterhasten. Ich
renne zum Fenster, sehe auf die Straße. Der Mann hat seine Browning wieder
weggesteckt und geht zügig zurück in Richtung Bergmannstraße. Die Aktentasche
hat er unter dem Arm.
Alles klar.
Verfolgung, denke ich. Er hat mich nicht gesehen, er weiß nicht, wie ich
aussehe. Also hinterher.
Ich nehme
immer drei Stufen auf einmal, renne auf die Nostitzstraße. Der Mann biegt nach
rechts in die Bergmannstraße ein und betritt dort das Tutti Frutti, eine
riesige italienische Gelateria im Art-déco-Stil. Ich folge ihm durch die
Glastür, der schmalzige Gesang der Soft-Funk-Boygroup »Color Me Badd« lullt
mich ein. »I Wanna Sex You Up«, na vielen Dank auch.
Der Kerl
bestellt sich ein Eis und setzt sich an einen der Tische am Fenster.
Bestens.
Das verschafft mir etwas Zeit. An der Wand hängen ein paar Münztelefone. Ich
wechsele an der Kasse etwas Kleingeld und rufe die Dienststelle an. Hünerbein
soll unauffällig ein paar Männer zur Verstärkung mitbringen. Observation ist
angesagt, sehr diskret. Und Vorsicht, der Mann ist bewaffnet.
Ich
verlasse das Tutti Frutti wieder und gehe ins Guantanamo, eine karibische Bar
auf der anderen Straßenseite. Von hier aus habe ich den Eisladen gut im Blick.
Außerdem ist die Musik besser; der »Bacardi-Song« von Kate Yanai weckt bei mir
Sehnsüchte nach Strand und Meer und einem guten Cocktail. Ich nehme an den
Tischen draußen auf dem Trottoir Platz und bestelle mir einen Daiquiri.
Lecker!
Der Kerl
gegenüber scheint keine Eile zu haben. Er schleckt an seinem italienischen
Eisbecher herum und sieht entspannt den Passanten auf der Straße zu. Die
meisten sind jung, kaum über dreißig, und es sind viele hübsche Mädchen dabei.
Alle ziehen in nur eine Richtung.
Auffallen
tut mir das erst, als ein schwarzer Lesbenblock vorbeimarschiert, zornige
Frauen in Lederklamotten und mit Trillerpfeifen, die einen Höllenlärm machen.
Ich sehe Transparente, auf denen »Schwanz ab!« gefordert und Kreuzberg zur
»feministischen Kampfzone« erklärt wird. Für einen Augenblick nehmen sie mir
den Blick auf den Eisladen.
Ich recke
den Hals, sehe aber nichts, weil mir irgend so ein kriegerisches Weib einen
riesigen rosa Plastikpenis über den Kopf gestülpt hat. Verdammt noch mal: Habe
ich irgendwas nicht mitbekommen? Ist heute Frauenkampftag oder so was? Ich
bekomme diesen Scheißpenis kaum von meinem Kopf herunter und bin das Objekt
heiteren Gelächters geworden. Lauter Emanzen, die sich prächtig amüsieren und
»Kastration jetzt!«-Schilder hochhalten.
Ich klaube
den Hut aus dem Innenleben des Penis und setze ihn mir wieder auf. Meine
Sonnenbrille dagegen ist hinüber. In zwei Teile zerbrochen, so ein Mist, das war
immerhin eine gute Ray Ban. Man sollte diese blöden Weiber wegen
Sachbeschädigung anzeigen.
Die
Kastrationsbefürworterinnen ziehen lärmend Richtung Viktoriapark weiter, und
der Browning-Mann sitzt nicht mehr in der Eisbar!
Das gibt’s
doch nicht! Ich springe auf, sehe mich um. Etwas weiter die Straße hinunter
mischen sich als Indianer kostümierte Frauen mit Tomahawks und Federschmuck
unter die Demonstrantinnen und verstärken den Lärm mit rhythmischem Getrommel
und wildem Kriegsgeschrei.
Wenig
später hört man vom Mehringdamm die ersten Sirenen, und eine Lautsprecherstimme
fordert im Namen der Polizei energisch, die Straße sofort zu räumen, die nicht
genehmigte Demonstration behindere den Verkehr … Die Frauen grölen
spöttisch drauflos.
Darum
geht’s ja: »Den Verkehr behindern«, schreien sie. »Schluss mit Sexismus!«
Wo aber ist
der Kerl mit dem Browning?
Ah! Jetzt
sehe ich ihn, er folgt dem feministischen Zug in sicherer Entfernung, das Eis
noch in der Hand. Ich will hinterher, doch der Barmann aus dem Guantanamo hält
mich zurück.
Stimmt, ich
habe vergessen zu zahlen. Hastig drücke ich dem Barmann einen Zwanziger in die
Hand und will weiter, doch wieder hält mich der Barmann
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