Kreuzberg
kenne
die Hauptkommissarin recht gut, die den Fall bearbeitet. Wenn also irgendwas
ist …«
»Ich weiß
nicht, ob was ist.« Anke Cardtsberg wirkt nervös. »Da war letztens so’n
Kerl …«
»Wo?«
»Na, hier«,
antwortet sie. »Mitten in der Nacht, als die ganzen Polizisten den Park
abgeriegelt haben, steht er plötzlich im Hof. Das fand ich unheimlich.«
»Und?«
»Nichts.
Ich hab ihn gefragt, was er will. Er sagte, er habe unsere Musik gehört und sei
ganz verzaubert von dem exotischen Flair hier.« Sie verdreht die Augen. »Ob er
nicht ein wenig bleiben dürfe, er würde auch niemanden stören. Ich hatte den
Eindruck, dass er sich vor den Polizisten verstecken will.«
»Wie lange
ist er geblieben?«
»Nicht so
lange. Als ich später noch mal nachgesehen hab, war er weg.«
»Und wie
sah der Mann aus?«
»Weiß
nicht. Es war dunkel. Mir sind nur die Haare aufgefallen. Rötlich und etwas
länger.« Sie zeigt, dass ihm die Haare etwa bis zur Schulter reichten. »Und sie
waren leicht lockig. Wie ein Engel, hab ich gedacht. Der Typ hat richtige
Engelslocken …«
Ein
rothaariger Engel? Davon gibt’s nicht so viele. Inga Lenz wird mir um den Hals
fallen, wenn ich ihr das erzähle.
»Meinen
Sie, der kommt noch mal wieder?«
»Ich hoffe
nicht!«
»Falls
doch«, ich drücke ihr meine Karte in die Hand, »rufen Sie sofort an, okay?«
Sie nickt
zögernd. »Okay.«
»Wiedersehen!«
Ich nicke ihr zu und gehe.
23 MEYER HATTE kein Auge zugetan. Die ganze Nacht
lag er auf dem Bett in seiner Zelle und starrte auf das Schattenmuster, mit dem
das Licht vom Hof die vergitterten Fenster an die gegenüberliegende Wand malte.
Kurz vor
dem Einschluss gestern Abend war Juri Lambertz mit einer wichtigen Nachricht
aufgetaucht. Und natürlich wollte er dafür Geld haben. Juri wollte immer Geld.
Der
Deutschrusse saß in der Poststelle und kam so an Informationen, die er sich
stets gut bezahlen ließ. Diesmal verlangte er fünfzig Mark von Meyer, was eine
Frechheit war, denn sogar im Knast hielten sie die Sonn- und Feiertage ein, und
die Poststelle war am Wochenende geschlossen.
Juri
Lambertz konnte die Nachricht also nicht im Dienst aufgeschnappt haben.
Wahrscheinlicher war, dass er sie über einen Lieferanten erhalten hatte, mit
dem Auftrag, sie ganz gezielt an Meyer weiterzuleiten.
Und
natürlich hatte Juri auch dafür die Hand aufgehalten. Er machte grundsätzlich
nichts kostenlos. Wenn er jetzt bei Meyer mit dieser wichtigen Meldung
auftauchte, hatte irgendwer dafür bereits bezahlt.
Mit anderen
Worten: Juri Lambertz wollte zweimal kassieren. – Elende Ratte!
Unter
einem Vorwand lockte ihn Meyer auf die Gemeinschaftslatrine, rammte ihm dort
brutal das Knie in die Magengrube und drückte seinen Kopf minutenlang bei
gedrückter Spülung in die zugeschissenen Klos. Am Ende hatte der Deutschrusse
verstanden. Man sollte nie versuchen, Mithäftlinge übers Ohr zu hauen.
»Also? Was
hast du mir zu sagen?«
Juri
Lambertz brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen. Er rang röchelnd
nach Luft, hatte eine Platzwunde auf der Stirn und aufgeplatzte Lippen. Auch
seine Nase blutete.
»Wird’s
bald«, fauchte Meyer.
»Der Wolf
fürchtet den Bären«, beeilte sich Lambertz keuchend hervorzupressen und setzte
hastig hinzu: »Mischa will den Wald verlassen.«
»Bist du
sicher?« Meyer schnappte sich ihn erneut und zog ihn dicht zu sich heran. »Das
war die Nachricht?«
»Wortwörtlich,
ich schwör’s«, versicherte Juri Lambertz zitternd und duckte sich etwas, weil
er neue Schläge befürchtete.
Aber Meyer
ließ ihn in Ruhe.
»Hau ab«,
sagte er nur und wartete, bis Lambertz verschwunden war.
Der Wolf fürchtet den Bären.
Das bezog
sich eindeutig auf die alte russische Fabel vom hungrigen Wolf, der den größten
Bären des Waldes fressen will, um nie wieder jagen zu müssen. Doch der Bär
macht schnell und unmissverständlich klar, wer im Wald der Stärkere ist, und
zwingt den Wolf zur Flucht.
Der
russische Bär ist sprichwörtlich. Er gilt in der Sowjetunion als Nationaltier
und wird oft »Mischa« genannt. Und genau hier setzt der zweite Teil der
Nachricht an:
Mischa will den Wald verlassen.
Aber warum,
wenn er doch der Stärkere ist?
Es konnte
nur eine logische Erklärung geben: Mit Mischa war nicht der Bär, sondern der
Wolf gemeint.
Markus
Wolf war dreiunddreißig Jahre lang Chef der Hauptabteilung Aufklärung des
Ministeriums für Staatssicherheit, zuletzt im Range eines Generalobersts.
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