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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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schräg gegenüber von der alten
Schultheiss-Brauerei.
    Trotz des
hellen Sommertages ist es hier recht kühl und duster, denn eine ausladende
Kastanie verschattet mit ihrer dicht belaubten Krone den Hof. Aus den
geöffneten Fenstern des Hinterhauses, einer alten, aus Backsteinen gemauerten
Manufaktur der Gründerjahre, dringt leise indisch anmutende Musik. Deutlich
sind Sitar und Bansuri zu hören, begleitet von einem tieferen Bordun-Ton und
dem reduzierten Rhythmus sehr langsam geschlagener Basstrommeln.
    Sofort
fühle ich mich in weite Ferne versetzt, in die morbide Schönheit eines alten
verfallenden Maharadscha-Palastes etwa, den sich allmählich der Dschungel
zurückholt. Es fehlen nur noch die Affen und Tiger.
    Eine
schmale Eisentreppe führt in den ersten Stock. Das Geländer ist rotgolden
gestrichen, die alten Ziegelwände sind mit viel Farbe und indischen Motiven
übertüncht worden. Der Geruch von Räucherstäbchen und ätherischen Ölen steigt
mir in die Nase und verstärkt sich noch, als mir auf mein Läuten hin die Tür
geöffnet wird. Eine junge Inderin im Sari öffnet mir, legt die Hände in
Brusthöhe aneinander und verbeugt sich leicht.
    »Namaste, bhai!«
    »Äh …
hallo«, erwidere ich etwas verwirrt und kratze mir verlegen das Kinn.
    Die Inderin
weicht lächelnd zurück und lässt mich eintreten. Der große Raum ist mit vielen
bunten Seidentüchern dekoriert, die sich bei jedem Windhauch leicht bewegen. An
der Decke hängen fein ziselierte, mit farbigen Glasperlen besetzte Leuchter aus
vergoldeter Bronze. Der Boden ist mit Kissen und bestickten Matten bedeckt, die
Wände zieren hohe Spiegel in schweren vergoldeten Rahmen. Vereinzelt stehen
antike Kommoden und Récamieren aus Ebenholz herum, Letztere sind ebenfalls mit
Kissen bedeckt, auf die kleine Silberplättchen genäht sind. Alles wirkt sehr
exotisch auf mich, fremd, aber doch anheimelnd.
    Die Inderin
schlägt einen großen wohltönenden Gong und bittet mich, Platz zu nehmen. Padma
Aruna werde sich gleich um mich persönlich kümmern. Bis dahin möge ich mir
etwas Yogi-Tee zu Gemüte führen, der entspanne Körper und Geist.
    Ich hocke
mich im Schneidersitz auf eines der vielen Kissen und sehe zu, wie mir die
Inderin ein silbernes Tablett vor die Füße stellt. Aus einer großen Tasse, wie
für einen Milchkaffee, dampft es süßlich. Ein Aroma, das an Zimt und Honig
erinnert und an einige andere, mir unbekannte indische Gewürze.
    »Lehnen Sie
sich zurück«, sagt die Inderin mit sanfter Stimme, »entspannen Sie sich!
Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich auf die Kraft der Erde im
Muladhara, die Kraft des Wassers im Manipura und die Kraft des Feuers im
Svadhisthana …«
    »Danke, Sheela!«
    Eine sehr
schlanke junge Frau kommt heran. Sie ist offenkundig europäischer Abstammung
und trägt ebenfalls einen Sari, der das gleiche funkelnde Grün wie ihre Augen
hat und sich im Edelstein auf ihrer Stirn widerspiegelt.
    »Ich
übernehme das, danke!« Sie wartet, bis sich Sheela lautlos entfernt hat, und
lächelt mich dann an.
    »Erkennen
Sie mich noch?«
    Ich
überlege. Das schöne, ebenmäßige Gesicht der jungen Frau kommt mir in der Tat
bekannt vor. Sie stand im Mittelpunkt eines Falls, den ich vor zwei Jahren zu
bearbeiten hatte, Gott, wie hieß sie nur? – Silke oder Anke …
    »Anke
Cardtsberg«, hilft sie mir auf die Sprünge.
    »Stimmt.«
Jetzt fällt es mir wieder ein. »Sie hatten sich damals für Ihre Schwester
ausgegeben.«
    »Ein
Fehler, den ich bis heute bereue«, gibt sie zu.
    »Und wie
ist es Ihnen seither ergangen?«
    »Sie sehen
ja!« Sie macht eine unbestimmte Handbewegung. »Da ich nie verheiratet war,
brauchte ich mich wenigstens nicht scheiden zu lassen. Ich hab mir was Neues
aufgebaut. Die Kraft des Yoga hat mir geholfen, wieder zu mir zu finden. Sie
hat mir geholfen, meine Chakren zu öffnen, sodass das Prana wieder fließen
kann.«
    »Es geht
Ihnen besser«, stelle ich fest.
    »Und
Ihnen?« Sie hockt sich ebenfalls auf eines der Kissen und sieht mich
erwartungsvoll an. »Mir ist damals gar nicht aufgefallen, dass Sie Jude sind.«
    Natürlich
spielt sie auf meine Kippa an. Ich könnte ihr nun erklären, dass diese Kippa
nicht Ausdruck meines Glaubens, sondern Folge eines polizeilichen Einsatzes
ist, der mir eine kahl rasierte Stelle am Hinterkopf eingebracht hat. Ich kann
es aber auch lassen und mich stattdessen auf den Grund meines Hierseins
konzentrieren.
    »Eine
Kundin von Ihnen war Swantje Steffens,

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