Kreuzberg
BerlinFrage wieder offen.
Diese ganze Scheiße! Alles geht von vorne los!«
Ich kann es
nicht glauben. Und natürlich übertreibt sie. Monika ist vom Kalten Krieg
geprägt. Als junges Mädchen wurde sie wegen der Liebesaffäre mit mir, einem
Verfassungsschützer aus dem Westen, verhaftet und zu vier Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt. Unsere Tochter Melanie wurde im Gefängnis Bautzen
geboren. Monikas Sorge ist also nur zu verständlich. Ich überlege noch, wie ich
sie beruhigen kann, da fragt sie mich, welche Vorkehrungen wir in der
Dienststelle treffen würden.
»Was für
Vorkehrungen?«
»Na, gegen
Unterwanderung, Sabotage, was weiß ich? Diese ganzen VoPos, die ihr in den
Polizeidienst übernommen habt. Das ist eine potenzielle Gefahr. Die ganze Stadt
wimmelt von roten Kadern, die alle nur darauf warten, dass es wieder anders
kommt. Die werden zuschlagen, wenn sie aus Moskau das Signal bekommen. Seid ihr
darauf vorbereitet?«
»Monika,
was erzählst du denn da?«
»Natürlich
seid ihr nicht vorbereitet. Niemand ist vorbereitet«, regt sie sich auf. »Wir
waren uns ja alle so sicher. Seit Monaten recherchiere ich für meine Zeitung.
Wir wollten einen Artikel daraus machen. Was wäre, wenn. Das ist schneller
Realität geworden, als wir alle ahnten.« Sie trinkt einen Schluck von ihrem
Weißwein. »Was ist mit diesem VP -Major in eurer
Dienststelle, von dem du mir erzählst hast?«
»Beylich?
Was soll mit dem sein?«
»Wie
verhält er sich?«
»Ganz
normal.« Wie soll er sich auch verhalten? Was glaubt Monika eigentlich? Dass
Beylich, weil in Moskau die Generäle putschen, im Handstreich unsere
Dienststelle übernimmt? Absurde Vorstellung. Lachhaft!
»Dieter, es
gibt konkrete Hinweise auf einen politischen Untergrund. Diese ganzen Stasileute
sind doch alle noch da. Glaubst du, die sind alle über Nacht zu braven
Demokraten geworden? Schon in den siebziger Jahren hat das M f S einen Generalplan für den Notfall erstellt, wie aus der Illegalität heraus
operiert werden soll. Die haben ihre Leute überall platziert, damit sie, wenn
es so weit ist, strategisch wichtige Objekte übernehmen können. Zentrale
Infrastruktur, Fernseh- und Radiostationen, Post- und Fernmeldeämter,
Energieversorger und, und, und.«
»Hat dir
das Siggi erzählt?«
»Ach was.«
Monika winkt ab. »Siggi würde mir so was nie erzählen. Dafür ist er immer noch
viel zu sehr Geheimdienstler. Ich sage doch, dass wir das in der Redaktion seit
Monaten recherchieren. Für einen Artikel: ›Wie uns die Einheit verwundbar
macht‹.«
Vielleicht
hat sie recht, überlege ich, unsicher werdend. Immerhin hatten wir gerade die
Verfassungsschützer im Büro, was in meiner ganzen Karriere als Kriminalbeamter
noch nie vorgekommen ist. Und sie haben Akten zu einem Fall mitgenommen, der
offenbar ganz andere Dimensionen hat als angenommen. Warum sonst interessiert
sich der VS für den Tod einer scheinbar harmlosen
Beamtin? Geboren in Rostock und schon zu DDR -Zeiten im Ostberliner
Finanzamt tätig. Später nach Kreuzberg wechselnd, zunächst, um sich mit dem
komplizierten westdeutschen Steuersystem vertraut zu machen, dann übernommen,
wie so viele. Unauffällige Beamte aus dem Osten versehen inzwischen überall
ihrem Dienst, zuverlässig und routiniert.
Warten sie
in Wirklichkeit nur auf den Tag X? Auf den Umsturz? Und habe ich selber nicht
oft genug insgeheim unseren Beylich verdächtigt, nur darauf zu warten, dass
sich die Uhren wieder anders drehen?
»Aber wie
konnte es dann überhaupt zur Einheit kommen? Und zum Mauerfall? Wenn die Stasi
so durchorganisiert war und immer alles schon vorher geplant und einkalkuliert
haben will?«
»Das war
eine Übermittlungspanne, wie wir heute wissen«, erwidert Monika. »Schabowskis
Zettel. Ein ganz banales Versehen mit großer Wirkung.«
»Was für
ein Glück!« Ich hebe mein Glas und versuche, die Stimmung etwas zu heben. »Auf
die großen Versehen unserer Zeit!«
»Du nimmst
mich nicht ernst.« Monika schmollt.
»Natürlich
nehme ich dich ernst. Ich sage nur, wir hatten Glück.«
»Ja, das
hatten wir.« Monikas Augen blitzen. »Und nun ist es an der Zeit, das Glück auch
zu verteidigen. Denn es ist bedroht! Machen die Russen ernst, gehören wir ganz
schnell wieder zur DDR . Und diesmal gehört
Westberlin dazu.«
»Was soll
ich tun? Mich vor die russischen Panzer werfen?«
»Idiot! Du
brauchst gar nicht so blöd zu grinsen.«
Aber ich
grinse doch gar nicht. Wenn, dann nur unbewusst. Ich will ihr ja
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