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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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diesen grauhaarigen Russen mit der Wodka-Nase gestikulierend
auf einem Panzer stehen …
    »Ist das
jetzt ein Putschist?«, frage ich Monika und komme mir vor wie ein Kind, das
beim Gucken eines Märchenfilms wissen möchte, wer denn nun die Guten und wer
die Bösen sind.
    »Das ist
Boris Jelzin«, antwortet Monika, »der russische Präsident.«
    »Also der
neue oder was?« Denn war der alte nicht Gorbatschow?
    Monika
erklärt es mir: Die Sowjetunion ist ein Zusammenschluss verschiedener
Sowjetrepubliken, wie Weißrussland, die Ukraine, die baltischen Staaten oder
eben Russland. Ähnlich wie in der Bundesrepublik gibt es also verschiedene
Länder, die eigene Parlamente haben und eine übergeordnete Bundesregierung.
    Das größte
Land der Sowjetunion ist die Russische Föderative Sowjetrepublik, und der Mann
auf dem Panzer ist deren Präsident Boris Jelzin. Ein Gegner des Putsches, der
die Bevölkerung zum Generalstreik aufruft und die Soldaten auffordert, die
Waffen ruhen zu lassen.
    Die
Putschisten dagegen sitzen im Kreml, dem Sitz der Sowjetischen
Zentralregierung. Deren Präsident war bis gestern Gorbatschow. Er wurde von den
Putschisten entmachtet, und jetzt rollen die Panzer durch Moskau. Auf einem
steht Jelzin, der grauhaarige mutige Mann mit der Wodka-Nase – und noch
wurde in Moskau nicht geschossen …

33    »DIE BULLEN wissen Bescheid, ey!«
    »Echt?«
    »Da war so
’n Typ bei Jette. Hat blöd rumgefragt. Peggy hat sich verplappert.«
    »Hab ich
gar nicht.«
    »Doch, hast
du, du dumme Nuss!«
    »Selber
dumme Nuss.«
    »In der
Theatermanufaktur sollen sie auch gewesen sein. Total viele Bullen. Mit Helmen
und Plastikschilden, wie für ’ne Straßenschlacht.«
    »Oh, Scheiße,
Mann!«
    »Dann
wissen sie wirklich Bescheid.«
    Die Mädchen
sahen sich unruhig an. Nur ein paar Kerzen erhellten ihre Gesichter, denn
eigentlich durften sie hier gar nicht sein. Tief unten im Keller zwischen den
alten Pumpen im Maschinenhaus des Viktoriaparks. Ein ideales Versteck. Hierher
kam nie jemand, und Jette wusste nichts davon. Und auch sonst niemand. Wieso
also wussten die Bullen so viel?
    »Die wissen
nichts. Die vermuten nur.« Janis stand auf. »Die suchen ein entführtes Mädchen,
Mann! Geh’n alle Möglichkeiten durch.«
    »Wir
sollten abhauen.« Peggy trank nervös einen Schluck Cola.
    »Abhauen?
Bist du doof?« Die anderen regten sich auf. »Wir ziehen das hier durch. Ist
doch klar!«
    »Du hast
gesagt, wir hauen ab. Sobald die Nummer durch ist, hauen wir ab. Jetzt sind wir
immer noch hier!«
    »Wir haben
es Annika versprochen!«
    »Damit
bringen wir uns bloß in Gefahr!«
    »Das
Arschloch bringt uns in Gefahr. Sonst niemand.«
    Die Mädchen
schwiegen betreten und sahen sich an.
    »Wir
kriegen den, oder?«
    »Klar. Heute
oder morgen.« Letztes Mal hätten sie ihn schon beinahe gehabt, aber dann waren
die Bullen dazwischengekommen und hatten den ganzen Park abgesperrt. Echt
super. Deutsche Polizei – total unfähig.
    »Okay«,
Peggy seufzte, »wer macht den Lockvogel?«
    Janis zog
ein paar Streichhölzer hervor und brach an einem die Zündkuppe ab. Dann hielt
sie die Enden der Streichhölzer den anderen Mädchen hin.
    »Okay
Mädels: Zeigt, dass ihr echte Hexen seid!«
    Ein
Streichholz nach dem anderen wurde gezogen. Das mit der abgebrochenen Zündkuppe
bekam Giulia.
    Ausgerechnet
das Küken.
    Giulia war
die Kleinste und Jüngste der Hexen. Mit vierzehn von zu Hause abgehauen, hatte
sie sich einem Wanderzirkus angeschlossen und war durch ganz Westeuropa
gereist. Ursprünglich kam sie aus Mailand, oder Milano , wie sie sagte. Jetzt lebte
sie schon fast anderthalb Jahre in einem alten Speicher am Urbanhafen.
Inzwischen war sie fast siebzehn. Zeit, da endlich rauszukommen, aus diesem
elenden Drecksloch.
    »Was soll
ich anziehen?«, fragte sie mit trockenem Mund, denn natürlich hatte sie Angst.
Alle hatten Angst, wenn sie raus in den dunklen Park mussten. Aber es war
notwendig. Das waren sie Annika schuldig.
    Arme
Annika. Sie war immer so fröhlich. Und ihr größter Traum war, einmal ans Meer
zu fahren. Jetzt lag sie seit vier Wochen im Krankenhaus und wurde künstlich
ernährt. Am Nachmittag hatten sie die Hexen noch besucht. Annika sah immer
schlechter aus. Sie trank und aß nichts mehr. Sie redete nicht. Kein Wort. Zu
niemandem.
    Sie weigert
sich, sagten die Ärzte. Aber die Hexen wussten es besser. Annika konnte nicht.
Innerlich war sie wie tot. Das Golgatha-Schwein hatte ihr nicht nur das Lachen
und die

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