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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Mundwinkel trocken. »So
eine Seifenoper spricht sich doch rum. Hüseyin hat nur seine Frau
zurückbekommen, weil er Ihnen diese Goldgrube dort«, er deutete rüber zum
Blumenpavillon, »vermacht hat, richtig?«
    »Es war ein
Geschäft wie jedes andere.«
    »Falsch.
Wir Kriminalisten nennen das räuberische Erpressung. In Tateinheit mit
Freiheitsberaubung.« Hünerbeins Stirn bekam sorgenvolle Furchen. »Da kommt
einiges auf Sie zu, Recip.«
    »Wer hat mich
angezeigt?«
    »Niemand.
Derartigen Verbrechen gehen wir auch ohne Anzeige nach.« Hünerbein machte sich
jetzt über die Weinblätter her. »Mhm … Die sind übrigens göttlich! Wollen
Sie mal probieren?«
    Kahali
verneinte. »Sie haben recht«, sagte er dann. »Hüseyin und ich: Wir waren
Todfeinde. Wir sind im selben Geschäft. Es ging um die Vormachtstellung im
Blumenhandel in der Marheinecke-Markthalle.«
    »Sie haben
versucht, sich gegenseitig fertigzumachen. Mit allen Mitteln.« Hünerbein
verstand. Im Großen wie im Kleinen: Wirtschaft ist ein gnadenloser Kampf.
    »Doch noch
während wir uns gegenseitig um Marktanteile und Stammkundschaft bekriegten,
kamen Dritte hoch.« Recip Kahali nahm jetzt doch ein gefülltes Weinblatt und
schob es sich in den Mund. »Inzwischen verkaufen Vietnamesen zu
ununterbietbaren Dumpingpreisen ganze Blumengebinde. Und spätestens, als in der
Gneisenaustraße eine ›Blume 2000‹ öffnete …«
    Ja, dachte
Hünerbein, das sind die Fast-Food-Ketten unter den Blumenhändlern.
    »… haben
wir begriffen, dass es besser ist, sich zusammenzutun. So können wir wenigstens
hier in Kreuzberg ein Monopol bilden, verstehen Sie?«
    »Mhm«,
machte Hünerbein und sah zum Blumenpavillon hinüber. »Die Vietnamesen haben Sie
jedenfalls schon mal von der Straße geholt.«
    »Hüseyin
ist an dem Laden immer noch beteiligt. Das hatte gar nichts mit Ayse zu tun.
Und ich halte Anteile an seinem Stand in der Markthalle. Außerdem haben wir
noch einen Laden in der Urbanstraße und am Kotti.« Recip Kahali sah stolz auf
seine Geldbündel. »Das Geschäft lohnt sich wieder. Im Augenblick bemühen wir
uns um die Übernahme der Friedhofsgärtnereien für die großen Kirchhöfe an der
Bergmannstraße.«
    »Dann hegen
Sie keinen Groll mehr gegeneinander?« Hünerbein lehnte sich zurück und
beobachtete sein Gegenüber genau. »Auch nicht insgeheim?«
    »Kein Ärger
mehr«, versicherte Recip Kahali, »wir ziehen an einem Strang. Und besiegelt
wird das durch die Hochzeit von Hüseyins Tochter und meinem Ältesten. Dann kann
unsere Familien nichts mehr trennen.«
    »Ihr Sohn
will Fatma heiraten?«
    »Noch für
diesen Monat«, bekräftigte Recip Kahali, »ist das Aufgebot bestellt. Fatma und
Chaleb werden sich aneinander gewöhnen. Ganz bestimmt.«
    Oder auch
nicht, dachte Hünerbein.
    Gab es doch
kein Verbrechen hinter dem Verbrechen?

32    EIGENTLICH IST die Trattoria L’Emigrante ein
kalabrisches Restaurant. Vincenzo D’Annunzio und seine Söhne Giuseppe und
Francesco kommen aus San Luca, doch sie tun alles dafür, ihren Laden wie einen
deutschen Urlaubstraum der späten siebziger Jahre aussehen zu lassen:
adriablaue Wände, der Fußboden aus sandstrandfarbenen Fliesen und hell
gebeiztes Holzmobiliar mit gelb karierten Tischdecken. Im Zentrum des
Gastraumes plätschert eine Miniaturausgabe der Fontana della Pigna, es herrscht
Rimini-Atmosphäre, wohin das Auge blickt.
    Normalerweise
wird der Hungrige, wenn er das L’Emigrante betritt, sofort von Musik empfangen.
Schönstem Italo-Pop à la »Azzuro« von Adriano Celentano oder das herrliche »Che
Angelo Sei« von Al Bano und Romina Power: »Amore mio,
ci sono io vicino a te …«
    Dienstbare
Geister werden ihm den Mantel abnehmen und zu seinem Tisch geleiten. Der Chef
persönlich wird mit der Karte erscheinen und freundlichste Empfehlungen zu
Speisen und Wein aussprechen. Normalerweise …
    Heute ist
alles anders. Keine Musik erfreut das Herz. Stattdessen haben sie ihren
überdimensionalen Fernseher wieder in den Gastraum gestellt, wie letztes Jahr
zur Fußball- WM . Doch statt spannender Spiele laufen die Nachrichten der
Tagesschau, die sonore Stimme des ARD -Korrespondenten Gerd Ruge
schallt durch den Raum. Über den Bildschirm flimmern Bilder von Panzern. Sie
sind von aufgebrachten Menschen umringt. Und ein untersetzter Mann mit
Wodka-Nase und grauen, vom Wind zerzausten Haaren wedelt gestikulierend mit
irgendwelchen Papieren herum …
    »Commissario!« Enzo, il patrono del ristorante ,

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