Kreuzberg
Munition an sich.
Auf meine
Frage, was überhaupt los sei, bekomme ich keine Antwort. Und mir fällt auch
kein triftiger Grund ein, der ein derart ungehobeltes Verhalten mir gegenüber
rechtfertigen kann.
Monika
verlangt lautstark, Dienstausweise zu sehen, und mir fällt der Moskauer Putsch
wieder ein. Ist es jetzt so weit? Gehören diese Typen zu den finsteren,
kommunistischen Seilschaften aus dem Untergrund? Übernehmen die jetzt die
Macht? Das würde zumindest das rabiate Vorgehen der Kerle erklären.
»Sie
benehmen sich wie die Gestapo in übelsten Nazizeiten«, regt sich Monika auf,
ein Vergleich, den sich die Herren im Kordanzug energisch verbitten.
Der Lärm
macht Melanie wach. Sie blinzelt müde fragend in die Runde und trägt mit ihrer
Frage »Was wollen die Stasitypen hier?« auch nicht eben zur Deeskalation bei.
»Die nehmen
Papa mit!« Monika wird zunehmend hysterischer. »Dieter, tu doch was!«
Ja, was
soll ich denn machen? Die Typen aus der Wohnung schmeißen? Die haben meine
Dienstwaffe!
»Mein
Mann«, sie sagt tatsächlich »mein Mann«, »mein Mann ist bei der Kriminalpolizei.
Sie haben kein Recht –«
»Unsere
Rechte kennen wir«, schneiden ihr die Kordjackenträger das Wort ab, »gehen Sie
wieder schlafen!«
»Schlafen?!«
Jetzt kommt Monika erst recht in Fahrt. »So, jetzt mal Tacheles«, sie hält den
Typen ihren Presseausweis vor die Nase, »ich bin Journalistin beim Berliner
Tagesspiegel und fordere Sie unmissverständlich auf, Ihrer Informationspflicht
nachzukommen …«
»Monika,
das bringt doch nichts.«
Doch sie
lässt sich nicht aufhalten. »Warum werden leitende Kriminalbeamte der Mordkommission
hier in aller Herrgottsfrühe abgeholt?«
»Tut mir
leid, das berührt Staatsgeheimnisse.«
»Wie war
noch mal Ihr Name?« Monika zückt ihr Notizbuch hervor.
»Kripps,
und das ist mein Kollege Scholten.« Die Kerle bringen mich zur Tür, doch Melanie
stellt sich in den Weg.
»Mein Vater
kann gar nicht mitgehen, der muss nachher zum Dienst!«
»Der Dienst
Ihres Vaters hat bereits mit unserem Erscheinen begonnen«, erwidert der Kollege
Scholten etwas genervt und schiebt meine Tochter beiseite. »Also halten Sie ihn
nicht davon ab.«
»Papa!« Sie
fällt mir dramatisch um den Hals. »Ruf an, okay?«
»Klar,
Spatz. Beruhige dich.«
»Lass dich
nicht unterkriegen, Dieter«, ruft Monika, jetzt ziemlich blass um die Nase.
»Die
Freiheit wird siegen«, besänftige ich sie und gebe ihr einen Kuss zum Abschied.
»Ich melde mich dann.«
In
einem dunkelgrünen Opel Vectra werde ich durch die erwachende Stadt gefahren.
Die Sonne ist erst durch einen roten Streifen am Himmel zu erahnen, und bis auf
ein paar Fahrzeuge der amerikanischen Streitkräfte und ein paar Taxis ist kaum
ein Auto auf den Straßen unterwegs.
Die ersten
Zeitungsläden öffnen, ihre Besitzer stellen die roten Schlagzeilenständer auf.
» GORBI GESTÜRZT «,
titelt die BILD an diesem Morgen, » MEIN GOTT, WAS NUN? «
Es geht zum
Platz der Luftbrücke, und ich habe den Eindruck, dass der Tempelhofer Flughafen
heute besonders gut gesichert ist. Noch wird das Gelände von der US Air Force genutzt. Überall stehen nervös wirkende GIs herum, die Waffen im
Anschlag, mehrere Zufahrten sind zusätzlich mit Panzersperren und Stacheldraht
gesichert worden.
Ist es
wegen des Moskauer Putsches? Das letzte Mal haben die hier so einen Aufriss
gemacht, als es Anfang des Jahres wegen der Besetzung Kuwaits durch die
irakische Armee gegen Saddam Hussein ging und Terroranschläge auf amerikanische
Einrichtungen befürchtet wurden.
Wir müssen
zwei Kontrollen passieren und laufen einen endlosen grauen, mit milchigen
Neonröhren beleuchteten Gang hinunter. Links von mir geht Kripps, rechts
Scholten. Wir reden kein Wort. Wozu auch? Früher oder später müssen sie mir
ohnehin sagen, was Sache ist.
In einem
fensterlosen Raum sitzt Hünerbein. Er sieht aschfahl aus und ist wohl auch
recht unsanft aus dem Bett geholt worden.
»Morgen,
Harry!«
»Morgen,
Sardsch«, gähnt er müde. »Weißt du, was diese Spinner von uns wollen?«
Keine
Ahnung. Ich ziehe ein Päckchen Gauloises hervor und biete ihm eine an.
Hünerbein knurrt etwas von »Rauchen abgewöhnen«, nimmt sich dann aber trotzdem
eine Zigarette. Ich gebe ihm Feuer und zünde mir selbst eine an. Zehn Minuten
später haben wir den kleinen Raum vollgequalmt. Er hat kein Fenster und keinen
Abzug, dafür aber einen Brandmelder. Leider wird er nicht ausgelöst.
»Wir haben
gestern
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