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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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das Versteck gefunden«, unterbreche ich das Schweigen, »dort, wo das
Entführervideo von der Tochter des Blumenhändlers aufgenommen wurde.«
    »Und?«
    »Alles aus
Pappe. Theaterkulisse. Das Mädchen war auch nicht mehr da.«
    »Ja.«
Hünerbein drückt seine Zigarette auf dem Fußboden aus. »Ich glaube auch nicht
mehr, dass es eine Entführung gibt.«
    Im Gang
plötzlich Geräusche. Unverkennbar ist Palitzschs empörte Stimme zu hören. Er
wettert von Kompetenzen, die seiner Meinung nach eindeutig überschritten worden
sind, und leistet uns kurz darauf Gesellschaft.
    »Sauerei
das«, schimpft er. »Diese ungehobelten Trottel. Meine Frau hat fast einen
Herzschlag gekriegt. – Was ist das überhaupt für eine Luft hier drin!« Er
wedelt mit den Händen herum, hüstelt gekünstelt, rüttelt hektisch an der Tür.
»Abgeschlossen! Wir sind eingesperrt! Unerhört!« Drohend sieht er uns an. »Was
ist los? Haben Sie irgendeinen Mist gebaut? – Knoop? – Hünerbein?«
    Wir
schütteln einhellig die Köpfe und sind uns keiner Schuld bewusst.
    »Es hat mit
dem Putsch zu tun«, vermute ich.
    »Was für
ein Putsch? Etwa der in Moskau? – Unsinn!« Palitzsch tippt sich gegen die
Stirn. »Was haben wir damit zu tun?«
    »Nichts.«
Ich schaue zur Tür. »Aber vielleicht Beylich.«
    »Egon?«
Palitzsch guckt mich groß an. »Wieso Egon?«
    »Vielleicht
waren wir zu leichtsinnig«, überlege ich laut, »haben uns zu sicher gefühlt.
Die deutsche Einheit war ein Selbstläufer, dachten wir. Doch noch sind wir hier
in Berlin umzingelt von Sowjetsoldaten«, gebe ich Monikas Worte weiter und füge
unheildräuend hinzu: »Sie wissen doch, wie sehr Beylich um seine alte DDR trauert. Und jetzt putscht in Moskau das Militär gegen Gorbatschow. Noch
Fragen, Chef?«
    »Sie
meinen …« Palitzsch schnappt nach Luft und greift sich ans Herz. Nicht
dass er einen Infarkt bekommt.
    »Sie
meinen …«, wiederholt er entsetzt und sinkt auf einen Stuhl. »Nein, Knoop,
das meinen Sie nicht im Ernst! Für den Egon lege ich meine Hand ins Feuer.«
    »Dann
verbrennen Sie sich mal nicht die Finger, Chef. Berlin ist voll von alten DDR -Kadern,
die sich nichts sehnlicher wünschen als das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Wie viele VoPos wurden eigentlich insgesamt in den Berliner Polizeidienst
übernommen?«
    Palitzsch
starrt mich entsetzt an. Er scheint allmählich zu begreifen.
    »Viele«,
murmelt er bleich. »Vielleicht zu viele.«
    Im Gang
sind Schritte zu hören. Zügig nähern sie sich unserem fensterlosen Kabuff. Kurz
darauf wird die Tür entriegelt, und ein hochgewachsener, grau melierter Mann in
dunkelblauem Zweireiher tritt, gefolgt von Kripps und Scholten, ein.
    »Meine
Herren«, er muss ein Hüsteln unterdrücken und tritt aufgrund des
Zigarettenqualms in unserer Bude wieder hinaus in den Gang. »Ich darf mich kurz
vorstellen, mein Name ist Schmitt-Visselbeck. Sie hatten sicher einige
Unannehmlichkeiten, für die ich vorab um Verzeihung bitten möchte.«
    »Ach«,
fauche ich, »und wer ersetzt mir meinen Nachtschrank?«
    »Alles zu
seiner Zeit.« Schmitt-Visselbeck lächelt kühl. »Es soll Ihr Schaden nicht sein.
Ihre Dienstausweise, bitte!«
    Ich will
protestieren. Immerhin haben sich diese Kerle uns gegenüber auch noch nicht
ausgewiesen. Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben, auch wenn die
Gefahr, in den Fängen einer kommunistischen Freischärlertruppe gelandet zu
sein, gesunken ist – immerhin befinden wir uns hier auf dem streng bewachten
Gelände einer US Air Base. Hünerbein und Palitzsch rücken
ihre Dienstausweise ohne zu murren heraus, also gebe ich auch meinen her.
    »Vielen
Dank.« Schmitt-Visselbeck reicht unsere Ausweise an Scholten weiter, der damit
verschwindet.
    Großartig,
denke ich bitter, jetzt können wir uns nicht einmal mehr als Kriminalisten
legitimieren.
    »Wenn Sie
mir jetzt bitte folgen würden?« Schmitt-Visselbeck dirigiert uns den Gang
hinunter.
    »Wenn Sie
uns endlich erzählen würden, was hier Sache ist.«
    »Ich sagte
doch: alles zu seiner Zeit.«
    Wir werden
durch mehrere gläserne Flügeltüren in ein Treppenhaus und von da aus in eine
Art Auditorium geführt, einen Filmvorführraum mit schwarz tapezierten Wänden,
mehreren Sitzreihen und schmalen Tischen.
    »Ein
formelles Amtshilfeersuchen hätte zu viel Zeit gekostet«, erklärt
Schmitt-Visselbeck und bittet uns, Platz zu nehmen. »Daher der ungewöhnlich
kurze Dienstweg. Ich hoffe, Sie verstehen das.«
    Interessant,
denke ich, der

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