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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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oder?

Kettenpartner
     
    Pour qui ces ignobles entraves,
Ces fers dès longtemps préparés?
Für wen diese gemeinen Fesseln,
Diese seit Langem vorbereiteten Eisen?
    Marseillaise
     
     
    Der Weg nach Brest war grauenvoll und dauerte mehrere Wochen. Zwei Tage haderte Cornelius mit seinem Schicksal, dann hatte sich irgendetwas in ihm in eine dunkle, ferne Höhle zurückgezogen, und er versuchte nur noch zu überleben. Selbst die Schmerzen der Brandwunde, die aufgeriebenen Stellen, wo der Eisenring in sein Bein einschnitt, die vielen Schrammen und Kratzer, die sich entzündeten und eiterten, und die neugierigen Gaffer mit ihren Schmährufen am Wegesrand nahm er nur unbeteiligt wahr. Er trottete neben den anderen der fünfzehn Mann starken Truppe voran oder saß auf dem Karren, der holpernd und ungefedert über das Pflaster rollte. Er aß, was man ihm reichte, ohne sich um den Geschmack zu kümmern, er schlief auf dem harten Boden von Scheuern oder in geplünderten Kirchen. Und er schwieg. Was sollte er auch sagen? Die Männer, die mit ihm zogen, waren primitive Gesellen, einige waren des Mordes angeklagt, andere hatten Raubüberfälle unterschiedlicher Schwere begangen.
    Anfang Dezember erreichten sie endlich Brest. Ein am Kai festgemachtes, rot angestrichenes Schiff war ihre erste Unterkunft. Regungslos erduldete Cornelius die rohe Säuberung. Man schor ihm Bart und Haare und übergab ihm derbe, rot gefärbte Kleidung. Auf der Mütze war ein Schild mit der Nummer sechshundertvierundneunzig befestigt, mit der er fürderhin angebrüllt, beschimpft und verflucht wurde. Dann brachte man ihn in einen kahlen Raum, in dem ein mächtiges Schmiedefeuer brannte, und stieß ihn auf eine Bank. Mit einer Fußkette, die ihnen kaum Bewegungsfreiheit ließ, fesselten sie ihn an einen anderen, müde aussehenden Mann. Anschließend wurden sie zu der Pritsche geführt, die sie zukünftig miteinander teilen würden. Jeder von ihnen erhielt eine Decke.
    Cornelius setzte sich auf die harte Holzbank und strich sich über den kahlen Kopf. Zumindest war er nun sauber. Er hatte sich in den vergangenen Monaten an vieles gewöhnt, an Hunger und Schmerzen, permanente Müdigkeit, die beständige Gegenwart anderer und den eigenen Gestank. Es galt zu überleben. Nichts weiter. Dennoch war er froh um die rudimentäre Hygiene, die im Bagno herrschte.
    Zwei weitere Männer, gerade aneinandergekettet, begannen einen lautstarken Streit. Der eine brüllte in einem breiten französischen Dialekt, der andere in einem selbst für Cornelius kaum verständlichen Deutsch. Die Argumente gingen ihnen schnell genug aus, und die Fäuste sprachen ihre Einheitssprache. Zwei Aufseher gingen dazwischen.
    »Es wird die Hölle für sie werden«, erklärte der Mann neben ihm. »Es ist besser, man kooperiert.«
    Cornelius starrte seinen Kettenpartner mit unbewegter Miene an. Er hatte sich in den langen Tagen und Nächte ein Verhalten zurechtgelegt, mit dem er hoffte, gewisse Vorteile zu erhalten. Vor allem wollte er nicht zu erkennen geben, dass er die französische Sprache beinahe fließend beherrschte, in der Hoffnung, andere wären daher unvorsichtig mit den Gesprächen, die sie in seiner Gegenwart führten. Es mochte ihm mehr Informationen bringen als höfliche Fragen. Seine Theorie bestätigte sich, der andere sprach in ruhiger Stimme weiter.
    »Mein Name ist Pierre, junger Freund, und ich bin gestern hier angekommen. Im Gegensatz zu dir habe ich allerdings schon vier Jahre im Gefängnis von Vannes hinter mir, und ich kann dir versichern, das hier ist eine Erleichterung. Auch wenn du es im Moment nicht so siehst.«
    Das tat Cornelius auf gar keinen Fall, doch blieb er stumm und verfolgte unter gesenkten Lidern die beiden Streithähne. Sie hatten Prügel bezogen und schleppten sich, einander mit hasserfüllten Blicken musternd, zu ihren Pritschen.
    »Sie werden sich gegenseitig das Leben schwer machen. Ein Horror, den wir um jeden Preis vermeiden sollten, meinst du nicht?«
    Cornelius rang mit sich. Er musste dem Mann an seiner Seite Recht geben, zusätzliche Quälereien sollte man in ihrer Lage vermeiden. Aber er wollte seine Haltung nicht ohne Not aufgeben. Immerhin, die Stimme seines Partners war kultiviert, sein Französisch gewählt und frei von Akzenten. Er sprach langsam und deutlich. Wenn auch sein ausgemergeltes Aussehen, die schlecht sitzende Kleidung und die müden Augen ihn mit den anderen Kettensträflingen gleichmachte, hatte er doch ein fein

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