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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sich in leisen Rezitationen durch die Irrfahrten des Aeneas, als ein Mittel, der stumpfsinnigen Fron zu entgehen und ihren Geist beweglich zu halten. Cornelius fand in Pierre einen hochgebildeten Mann, in der Literatur weit bewanderter als er selbst. Er lernte viel von ihm, und im Gegenzug überraschte er seinen Kettenpartner mit seinem mathematischen Wissen und seiner Lust am Lösen schwieriger Logikprobleme. Gelegentlich spielten sie aus dem Gedächtnis Schach miteinander. Vor allem aber unterhielten sie sich. Damit die anderen sie nicht verstanden, taten sie es oft in Latein. Cornelius erzählte von seinem Elternhaus auf der Burg Adendorf, wo er als der zweite von drei Brüdern aufgewachsen war, von Köln, wohin er mit zehn Jahren zu seinem Paten, dem Domherren von Waldegg, übersiedelt war, um Gymnasium und Universität zu besuchen. Vor allem aber vertraute er Pierre seinen Kummer darüber an, dass er sich nicht an Waldegg gewandt hatte, als sein Vater ihn verstieß.
    »Er war mir immer sehr viel mehr ein Vater, als es mein leiblicher Vater war. Er ist der Sohn meines Großonkels mütterlicherseits, meine Mutter und er sind Vetter und Base. Sie war fünf Jahre verheiratet, als ich geboren wurde. Manchmal, Pierre, frage ich mich, ob ich nicht vielleicht... Aber was immer geschehen sein mochte, hat man wohl vertuscht. Das würde aber zumindest diese abgrundtiefe Abneigung meines Vaters mir gegenüber erklären und sein kaltes Wesen gegenüber meiner Mutter.«
    »Nicht unbedingt, Cornelius. Kälte und Distanz, manchmal sogar Abneigung, kommen in vielen Familien vor. Söhne und Töchter werden oft aus Gründen verheiratet, die nichts mit der gegenseitigen Neigung zu tun haben. Auch ich nahm ein Weib der passenden Beziehung wegen. Und eine Mätresse der Leidenschaft wegen. Wir handhaben es so und verschwenden keine Bitterkeit darauf.«
    »Das mag vernünftiger sein.«
    »Nun ja, Frauen – sie sind hier ein seltenes Gut, und einsame Männer fangen an, sich in Fantasien zu steigern. Sei vorsichtig damit, Cornelius.«
    Die Warnung war nicht ganz unberechtigt. Das junge Mädchen, das sich mit ihm am Pranger unterhalten hatte, wollte ihm nicht aus dem Sinn gehen, und manche Nacht hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn er sie wiederträfe. Es waren schmerzhafte Vorstellungen, geboren aus frustrierter Enthaltung und gesundem Geschlechtstrieb.
    Er versuchte, diese Bilder nicht mehr aufkommen zu lassen. Ganz gelang es ihm nicht. Aber er konzentrierte sich darauf, seinem Freund aufmerksam zuzuhören. Er vermutete inzwischen, dass er einen ganz anderen Namen als Pierre trug. Denn er war einer der Überlebenden der Kämpfe auf der Halbinsel Quiberon, wo die französischen Emigranten, die nach England geflohen waren, 1795 zusammen mit den Briten und den bretonischen Chouans versucht hatten, einen Aufstand gegen die französische Republik zu organisieren. Doch die Truppen unter General Hoche hatten sie vernichtend geschlagen. Die meisten Anführer, bourbonentreue Aristokraten, waren hingerichtet worden, andere hatte man in das Gefängnis nach Vannes gebracht.
    »Es war ein Versuch, ein tapferer, törichter Versuch«, kommentierte Pierre es.
    »Du wärst besser auf der anderen Seite des Kanals geblieben. Wenn man bedenkt – inzwischen hat man den blutrünstigen Robespierre geköpft und eine moderatere Regierung gebildet.«
    »Später ist man klüger.«
    »Wie bist du dem Terror überhaupt entkommen?«
    »Mit knapper Not und Bestechung. Wir, meine Frau und ich, hatten Freunde, die uns frühzeitig gewarnt hatten. Wir sind über Belgien zur Kanalküste gezogen, verkleidet als Bauern. Wir waren nicht besonders gut darin, wie arme Landleute aufzutreten, wie du dir vorstellen kannst. Aber einige gütige Menschen versteckten uns, und einer deiner Landsmänner verhalf uns zu einer Passage über den Kanal. Gegen gutes Gold versteht sich. Aber warum sollte ich ihm das verdenken. Es war ein Risiko. Den Mann werde ich nie vergessen, ein Frédéric Kormann, aus Köln – wie du, Cornelius.«
    Cornelius sog scharf die Luft ein.
    »Kay Friedrich Kormann. Tatsächlich.«
    »Du kennst ihn?«
    »Kennen ist zu viel gesagt. Er war ein Bekannter meines – mh – Paten. Ein Freimaurer wie er, und daneben ein überzeugter Jakobiner. Ich fand damals die Kombination schon seltsam. Er scheint ein Mann mit ziemlich wechselnden Überzeugungen zu sein. Ausgerechnet er soll royalistischen Flüchtlingen geholfen haben? Das ist erstaunlich.«
    »Das

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