Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
mag seine tolerante Seite gewesen sein.«
»Möglich. Aber er ist 1794 mit den Besatzungstruppen nach Köln zurückgekommen und hat in der Verwaltung eine steile Karriere gemacht.«
»Ein Opportunist. Das ist in Zeiten wie den unseren nicht unüblich. Wem kann man es verdenken, Cornelius?«
»Er saß als Geschworener im Gericht, vor dem ich verurteilt wurde.«
»Und ließ keine Gnade walten?«
»Vermutlich nicht. Ich hatte ihm kurz vorher beim Kartenspiel gründlich die Hosen ausgezogen.«
Pierre gab sein charakteristisches Schnauben von sich. »Das Schicksal erlaubt sich zuweilen eigenwillige Kapriolen.«
»Leider! Deine Frau ist noch in England?«
»Nein, sie ging vor mir zurück, schon 1791. Sie hatte den wahnsinnigen Wunsch, ihrer Königin beizustehen. Man enthauptete sie im Herbst zweiundneunzig.«
»Und deine... Mätresse?«
»Beatrice blieb zurück. Sie war – nun ja – nicht sonderlich gefährdet.«
Aus den Berichten und vielen anderen Kleinigkeiten war Cornelius zu dem Schluss gekommen, dass Pierre ein Mitglied des französischen Hochadels sein musste, der seinen Namen aus sehr verständlichen Gründen strikt für sich behielt. Selbst ihm gegenüber. Seine Geliebte schien indessen in Sicherheit zu sein, was offenkundig an ihrem bürgerlichen Status lag.
»Weiß sie von deiner Gefangenschaft hier?«
»Ich glaube nicht, ich bin unter fremdem Namen von England zurückgekehrt und unter dem auch verhaftet worden. Aber wer weiß, vielleicht überlebe ich so lange, dass ich sie noch einmal wiedersehe.«
»Wir haben beide gute Gründe, lebend aus dieser Vorhölle herauszukommen.«
»Wir werden uns bemühen«, versprach Pierre.
Sein Wunsch jedoch ging nicht in Erfüllung.
Zwei Jahre später, sie hatten inzwischen, da sie nie auffielen und ihre Arbeit widerspruchslos erledigten, ihren Platz im Arsenal auf dem Festland bekommen und leichtere Aufgaben bei einem Küfer erhalten, als Pierre eines Nachts zu keuchen begann. Cornelius, weiterhin an seine Seite gekettet, versuchte, ihn aufzurichten und ihm zu helfen, aber das schwache Herz seines Freundes versagte. Noch einmal rang er um Atem und flüsterte Cornelius einen Namen zu. Einen alten, sehr traditionsreichen. Zuletzt hauchte er mit kaum hörbarer Stimme: »Beatrice de Keroual.«
»Ja, ich werde versuchen, sie zu finden.«
»Danke … Freund.«
»Psst. Ruhig. Ich will versuchen, Hilfe zu rufen.«
»Zu … spät...« Die Schmerzen in seiner Brust lösten einen heftigen Krampf aus, und Cornelius hielt ihn fest in seinen Armen.
»Dormez bien, mon Prince«, flüsterte er in sein Ohr, als Pierre mit einem letzten Aufbäumen starb. Dann wachte er bei ihm mit starrem Gesicht, bis der morgendliche Weckruf ertönte, und er dem Aufseher Meldung machen konnte.
Der Leiter des Bagnos, ein Marineoffizier, entschied, Cornelius solle auf Grund seiner guten Führung nicht mehr an einen anderen Sträfling gekettet werden, sondern seinen Dienst an der »gebrochenen Kette« tun dürfen. Der Eisenring an seinem Fuß blieb, aber das freie Ende der Kette konnte er nun in den Gürtel gesteckt tragen. Es war zwar eine Form der Straferleichterung, doch tiefe Trauer überschattete diese Entlastung. Noch mehr, als er erfuhr, dass Pierre, nun, da Frankreich einen neuen Machthaber hatte, von dem ersten Konsul, Napoleon Bonaparte, begnadigt werden sollte.
Der blinde Pater
Ihr glücklichen Augen, was ihr je gesehen, es sei, wie es wolle, es war doch so schön.
Lynkeus, der Türmer, Goethe
Der Teich war zugefroren, und eine weiße Decke aus Schnee lag wie frisch gebleichtes Leinen darüber. Nur in der Mitte war ein Loch in die Eiskruste geschlagen worden, aus dem die Anwohner manchmal Fische holten. Auf genau dieses Loch wanderte der Mönch in seinem weißen Umhang und dem Stock in der Hand zu.
Toni starrte ihm verblüfft hinterher, dann aber sagte sie sich, dass irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung war.
»Bleiben Sie stehen!«, rief sie laut und rannte los, wobei der Pulverschnee nur so aufstob. »Bleiben Sie ja, wo Sie sind! Keinen Schritt weiter!«
Der alte Mann blieb gehorsam und starr stehen, bis Toni ihn schlitternd und keuchend erreichte. Das Eis unter ihren Füßen knarrte und knackte bedrohlich, und sie befahl, ein Stückchen von dem Mönch entfernt stehend: »Reichen Sie mir Ihren Stock. Hierher. Hier stehe ich!«
Vage bewegte sich der Stock in ihre Richtung, und sie packte ihn mit beiden Händen.
»Folgen Sie mir, ganz vorsichtig. Langsam,
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