Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
halten.«
Antonia nickte ihm zu und erwiderte auch Wittgensteins Gruß, allerdings weniger herzlich.
»So rustikal heute Morgen, Fräulein Antonia? Sie wirken wie ein frisch gewaschenes Landmädchen.«
»Wir haben auch schon eine Landpartie hinter uns, Phillip. Eine wohltuende Wanderung durch die Gärten von Deutz.«
»Großer Gott, Sie wollen mir doch nicht weismachen, sie hätten bereits einen solch weiten Ausflug unternommen? Dazu müssten Sie ja zu höchst unmondäner Stunde aus den Federn gekrochen sein.«
»Krochen wir, sowohl der Domherr als auch ich.«
»Ich hege größte Achtung vor jungen Damen, die sportlich genug sind, nach einer Ballnacht Erquickung an der frischen Luft zu suchen und einen solch bezaubernden Morgen nicht im abgedunkelten Zimmer zu verdösen«, erklärte ihm Joubertin. »Und praktische Kleidung für solche Zwecke zu tragen, scheint mir ebenfalls sehr sinnvoll. Allerdings frage ich mich...«
»Was, lieber Freund, fragen Sie sich?« Antonia bemerkte zwar, dass sich bei Wittgenstein eine verbitterte Falte bei dieser vertraulichen Anrede seines Konkurrenten zwischen den Augen bildete, ignorierte ihn aber.
»Nun, ich hatte gehofft, Sie für heute Nachmittag zu einer Promenade einladen zu können.«
»Warum, glauben Sie, müssten Sie diese Hoffnung begraben?«
»Es wäre vielleicht eine zu große Anstrengung?«
Antonia lachte. »Wenn Madame einverstanden ist, will ich Sie gerne begleiten.«
Elena nickte zustimmend, und man verabredete sich für eine passende Uhrzeit.
So schlenderte sie am späteren Tag neben François Joubertin durch die Hohe Straße, entlang an den Taxushecken, in denen Dutzende von Spatzen tschilpten.
»Den Auslagen der Boutiquen und Modistinnen können Sie nicht viel Reiz abgewinnen, Mademoiselle?«
Antonia hob die Schultern. »Ich habe lange genug ohne diesen Firlefanz auskommen können. Aufrichtig gesagt, das Leben war früher unkomplizierter.«
»Als Junge.«
»Als Junge, ja. Ich schulde Ihnen die Geschichte, und Sie sollen Sie jetzt hören.«
Selbst in der gedrängten, stark zusammengefassten Form erschütterte Antonias Schicksal den jungen Mann zutiefst. Aber er blieb vorbildlich gefasst und ersparte ihr mitleidige Ausrufe oder gar peinliche Fragen.
»Ein Trossbub. Das erklärt gewisse Formen der Ausdrucksweise. Es ist erstaunlich, Mademoiselle, und vermutlich überaus bewundernswert, wie Sie diese schreckliche Zeit überlebt haben.«
»Nein, François. Ich hatte meine Eltern. Sie sorgten für mich und liebten mich. Und ich war ein Bub unter Buben. Ist Ihnen Ihr Leben als Junge schrecklich vorgekommen?«
»Nein, aber ich zog auch nicht hinter den Heeren her und lebte am Rande der Schlachtfelder. Aber Sie haben sicher Recht, es war Ihre Welt, eine andere kannten Sie nicht. Sie treten in die meine erst jetzt ein. Ich sollte also eher Ihr Überleben darin bei Weitem mehr bewundern.« Als er aber bemerkte, dass ihr diese Äußerungen unangenehm waren, wies er auf das Caféhaus Müller an der Kreuzung zur Brückenstraße hin und schlug vor: »Wir wollen uns unter das mondäne Leben mischen, Mademoiselle, und eine Schokolade trinken, einverstanden?«
»Das wäre sehr nett.«
Es herrschte sonntäglicher Betrieb, man führte elegante Garderobe aus, plauderte und genoss schwelgerisch das verlockende Angebot von Getränken und Naschereien. Muckefuck, den Ersatzkaffee mocca faux, gab es nicht, im Caféhaus wurde Bohnenkaffee serviert. Joubertin unterhielt Antonia mit launigem Geplauder über die Anwesenden, die er zumindest vom Sehen kannte. Irgendwann fiel der Name Kormann, und Antonia bemerkte: »Oh, Sie müssen derzeit schmerzlich unter seiner Abwesenheit leiden, lieber François.«
»Es ist kaum zu ertragen, Mademoiselle. Aber ich hoffe, die glückliche Familie genießt ihren Aufenthalt im Süden Frankreichs. Möglichst lange.«
Nachdenklich spielte Antonia mit dem Löffelchen und meinte dann: »Charlotte nennt sich eine enge Freundin Elena Waldeggs. Aber sie hat neulich heimlich Nachforschungen über sie angestellt. Das will mir nicht gefallen.«
»Nein, das will mir auch nicht gefallen. Die Dame hat sich bei mir nicht beliebt gemacht, muss ich gestehen. Sie neigt dazu, niederen Angestellten in überheblicher Manier zu begegnen.« Er überlegte einen Moment und verriet ihr dann leise: »Kormann hat Kirchenbücher ausgeliehen, die der Jahre 1790 bis 1792.«
»Neunzig ist mein Geburtsjahr.«
»Welches Interesse haben die beiden an Ihnen,
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