Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
manchmal sogar verschimmelt. Es gab Beanstandungen seitens der Kunden.
Also stieg Pitter, wenn auch widerwillig, in den Schmuggelhandel ein. Er war nicht besonders geschickt darin. Beim ersten Mal entkam er nur knapp den Zöllnern und musste seine Ware bei der Flucht wegwerfen. Beim zweiten Mal, als er eine Nachtfahrt unternahm, kenterte sein Nachen bereits auf der Hinfahrt, und er verbrachte eine sehr feuchte Nacht, denn die Strömung hatte ihn weit nach Norden getragen, bis er endlich das Ufer erreicht hatte. Den Nachen musste er anschließend auch noch ersetzen.
Danach hatte Marie, wütend und voller Verachtung für die Memme, als die sich ihr Gatte erwiesen hatte, die Sache selbst in die Hand genommen. In der Hoffnung, eine Mutter mit Kind wirke harmlos genug, war sie mit der Dreijährigen an der Hand übergesetzt und hatte eine gute Ausbeute erstklassigen Tabaks unter ihren voluminösen Röcken mitgebracht. Zwei Wochen lang ging es gut, dann erkrankte der Säugling, und sie fand keine Zeit mehr, ihre Fahrten fortzusetzen.
Pitter wagte einen neuen Versuch, war erstmals erfolgreich und wurde, wie es so seine Art war, übermütig.
Man fasste ihn Ende Juli.
Er wurde zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Marie kochte vor Zorn. Aber Wut macht erfinderisch, und so suchte sie nach einer weiteren Methode, die Familie über Wasser zu halten, bis ihr unzuverlässiger Ernährer seine Strafe abgebüßt hatte. Sie fand schnell heraus, dass man nicht nur mit Rauch, sondern auch mit Gerüchten Geschäfte machen konnte. Ihre Kundschaft bestand vorwiegend aus den Bediensteten der vornehmen Häuser, die für ihre Herrschaften die Zigarren und den Schnupftabak einkauften und für die Dienerschaft schon mal den Kautabak erstanden. Noch hatte sie einige Vorräte. Da sie jetzt auch das Verkaufsgeschäft betrieb, lernte sie schnell, was der Trottel von ihrem Mann nie genutzt hatte. Die Kunden schwatzten, und Marie hatte ein scharfes Gehör. Sie erfuhr, wer eine Gesellschaft geben wollte, und konnte einen Lieferanten für ausgezeichneten Bohnenkaffee nennen – gegen eine gewisse Provision, versteht sich. Sie wusste sehr schnell, wer eine Vorliebe für feine Süßwaren hatte, und vermittelte eine für alle Beteiligten lohnende Beziehung. Sie hörte von Köchinnen, die sich über schwer zu beschaffende Lebensmittel beklagten, und sorgte für Abhilfe. Sie kannte bald die Passion der Damen für gewisse Textilien, die im freien Handel nicht ohne Weiteres zu erhalten waren, und nannte Bezugsquellen. Nebenbei sickerte immer mehr Klatsch und Tratsch in ihre geneigten Ohren, und so nahm sie auch das Gerede über das rätselhafte Mädchen wahr, das sich bei Waldeggs eingenistet hatte.
Antonia war ihr zuwider gewesen. Sie gehörte zu einer Vergangenheit von Pitter, an der sie, Marie, nicht teilhaben konnte. Auf seine ruhmreiche Zeit als Soldat war sie eifersüchtig. Er hatte einst eine Freiheit genossen, die sie ihm heute nicht mehr zubilligte, zumal er dann und wann darauf pochte, diese Freiheit weiterhin zu besitzen und sich mit den alten Kameraden traf. In solchen Fällen entzog er sich ihrer Aufsicht, um wer weiß was zu unternehmen. Man wusste ja, wie Soldaten zu Frauen standen! Und hast du nicht gesehen war da einer mit einem Flittchen über alle Berge! Antonia war auch so ein Flittchen, zu den Männern aufdringlich und vorwitzig, ihr gegenüber anmaßend und hochnäsig. Erst hatte sie den Jungen gespielt, aber das hatten sie ja schließlich schnell durchschaut. Gleich darauf hatte Pitter angefangen, ihr nachzusteigen. Gut, dass sie kurz danach ausgezogen war. Womit mochte sie die Waldeggs in der Hand haben, dass sie sie dazu gebracht hatte, sie aufzunehmen, fragte Marie sich, während sie geschwind eine Zigarre nach der anderen rollte. Man würde sich gezielter umhören müssen. Denn das Mädchen lebte jetzt wie die Made im Speck.
Marie brauchte nicht lange. Das Geheimnis um die Hausgenossin des Domherrn beschäftigte auch andere im Kreise der Bediensteten. Der ehemalige Domkapitular trug keine ganz blütenreine Weste – Konkubinat, unehelicher Sohn – könnte es sein, dass er Antonias Vater war? War es das, womit sie ihn gezwungen hatte, sie aufzunehmen? Marie forschte weiter und fand heraus, dass der Domherr und diese Antonia einen innigen Umgang miteinander pflegten. So hatte man sie oft gemeinsam aus der Stadt wandern sehen. Sie waren stundenlang fortgeblieben, hieß es. Die Frau Gemahlin indessen saß verlassen
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