Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
kein Meer, keine Wolken, Cornelius. Ich fürchte, dort ist es wesentlich ungemütlicher. Hier gibt es wenigstens Vegetation. Sonst würden diese anspruchslosen Geschöpfe sich dort nicht herumtreiben.« Er wies auf einige magere, staubige Ziegen, die von irgendwoher aufgetaucht waren und an etwas zwischen den Steinen knabberten.
»Dann wollen wir nachsehen, was ihnen da so mundet.«
Die beiden Männer machten sich an die Arbeit und sammelten niedrige Flechten und harte Gräser ein. Cornelius legte die Exponate sorgsam zwischen die Löschblätter der Pflanzenpresse, während sein Begleiter sich Notizen zum Fundort machte. Sie wanderten weiter, ohne viele Worte zu wechseln, in schweigendem Einverständnis und in lang geübter Zusammenarbeit. Beide waren sie braun gebrannt, mager und zäh, doch Cornelius wirkte nicht mehr ausgemergelt, sondern muskulös und ausdauernd.
»Sieh mal, Jean-Luc, von hier kann man die Lumière sehen.«
Unten dümpelte auf den Wellen vor dem Hafen Puerto de Cabras das weiße Schiff, das sie an die letzte Insel ihrer Expedition gebracht hatte. Ein Jahr schon bereisten sie die kanarische Inselwelt, von Lanzarote über Teneriffa nach La Palma, Gomera, Hierro, dann nach Gran Canaria, und nun lagen sie vor Fuerteventura.
»Ein herrlicher Blick, Cornelius. Machen wir hier eine Pause, ich bin hungrig und verdammt durstig.«
Sie fanden einen schattigen Platz unter einem aufragenden Felsen, von wo aus sie die Insel überschauen konnten. An der felsigen Küste weit unten brachen sich mit weißer Gischt die Wellen des Atlantiks, und zwei große Vögel, vermutlich Fischadler, schwebten durch die klare Luft. Eine kleine Purpurechse huschte unter einen Stein, als Cornelius den Rucksack abstellte. Jean-Luc hob den Weinschlauch vom Rücken und goss sich mit geübter Manier einen dünnen Strahl Rotwein in den Mund. Dann reichte er ihn Cornelius, der es ihm gleichtat.
»Essen wir etwas, sonst gibt’s einen Brummschädel«, schlug er dann vor und packte Brot, Käse und Oliven aus.
Es war ein friedliches Mahl, und als sie die letzten Krümel von den Hosenbeinen gewischt hatten, fragte Jean-Luc unerwartet: »Hast du schon darüber nachgedacht, was du zukünftig tun willst, Cornelius? Unsere Reise geht dem Ende entgegen, in zwei Monaten treten wir den Heimweg an.«
Cornelius reckte sich und lehnte sich mit dem Rücken an den warmen Stein.
»Ich kehre nach Hause zurück. Ich würde mich gerne mit meiner Familie aussöhnen, aber große Hoffnung habe ich da nicht. Auf jeden Fall gehe ich nach Köln, um mit meinem Paten meinen Frieden zu machen. Vielleicht suche ich auch nach dem Mädchen, das mir, als ich am Pranger stand, einige nette Worte gesagt hat. Ja, Jean-Luc, das werde ich tun. Aber vorher habe ich noch etwas anderes zu erledigen.«
Seit Cornelius aus seiner tiefen Bewusstlosigkeit auf der Lumière du Monde erwacht war, war ziemlich genau ein Jahr vergangen. Es war für ihn eine Zeit, in der er auf unerwartete Weise die Krusten losgeworden war, die sich während des Aufenthalts im Bagno um ihn gebildet hatten. Zwar war er nach der ersten Verzweiflung, sich an Bord eines Schiffes zu befinden, wieder in eine dumpfe Zurückgezogenheit gefallen, hatte sich in seiner schmalen Koje umgedreht und an die Wand gestarrt, ohne irgendjemandem eine Antwort zu geben. Aber als er sich nach einer Weile aufsetzte, sah er einen Korb mit Brot, eine Schale Butter, kaltes Fleisch und Käse sowie einen Krug mit Wein auf einem Tisch stehen. Da er hungrig war und gelernt hatte zu essen, wann immer er die Gelegenheit dazu fand, machte er sich über den Imbiss her. Dann sah er sich um. Er befand sich in einer engen Kajüte, in der es nach Holz roch. Etliche Werkzeuge hingen in Halterungen an der Wand, eine Drehbank und ein langer Tisch waren auch vorhanden. Eine Werkstatt, die des Schiffszimmermanns, musste es sein. Das Schiff selbst war, soweit er es aufgrund seiner kleinen Behausung beurteilen konnte, solide verarbeitet, der Raum aufgeräumt und sauber. Aus Teakholz waren die Wände und der Boden, eine gischtbespritzte Glasscheibe schloss die Luke, durch die graues Licht fiel. Das Rauschen und Klatschen der Wellen drang zwar bis zu ihm vor, aber er registrierte zufrieden, dass ihn das Schwanken nicht seekrank machte.
Dennoch war Cornelius verwirrt. Er kannte natürlich die unlauteren Methoden, wie manche Kapitäne ihre Mannschaften zusammenstellten. Kräftige Männer liefen in Hafenkneipen Gefahr, bewusstlos gemacht
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