Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
sie, wie Sie sicher einsehen, äußerst verdächtig.«
Cornelius zuckte nur mit den Schultern. Etwas weniger Vorurteile bei der Untersuchung hätten das Missverständnis früher aufgeklärt. Aber er schwieg zunächst darüber.
Antonia hatte die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen. Neben ihr auf dem fauligen Stroh, das den Boden der Zelle bedeckte, kniete eine Frau und betete verzweifelt. Die andere stand an der Tür und brüllte dem Wärter Verwünschungen durch die vergitterte Öffnung hinterher. Doch weder Gebete noch Flüche würden ihr helfen.
Es war eine seltsame Lethargie über sie gefallen, seit sie in dem Gefängnis saß. Sie lebte wie in einem Traum vor sich hin, aß das widerliche Essen, das man ihnen zwei Mal am Tag zugestand, gab Antworten, wenn man sie befragte, sicherte sich ihren Platz auf der schmalen Pritsche unter dem hohen, vergitterten Fenster und verweigerte jede Form der Unterhaltung mit ihren beiden Leidensgenossinnen. Sie versuchte sogar, nicht zu denken. Aber das war schwierig. Die erzwungene Untätigkeit forderte ihren Tribut. Unzählige versunken geglaubte Bilder und Erinnerungen suchten sie heim. Solche an ihr Leben auf den Märkten und in den Lagern, an Märsche und Schlachten, an friedliche Stunden mit ihrer Mutter Elisabeth. Dann wieder durchlebte sie die Qualen noch einmal, die sie bei ihrem Tod empfunden hatte. Die Rückkehr nach Köln, die Suche nach ihrer leiblichen Mutter – sie sah es jetzt aus einer neuen Distanz. Ein unbeschreibliches Glück hatte sie in das Haus des Domherrn geführt. Als sich der eiserne Ring des Schmerzes wieder um ihr Herz zusammenzog, verdammte sie sich selbst, jenes Leben, das er ihr in seiner Güte und Liebe eröffnet hatte, aus Trauer und Verdruss weggeworfen zu haben. Die Flucht war nicht die Lösung ihrer Probleme. Obwohl sie sich selbst eingeredet hatte, damit ihren Schwur zu erfüllen und die verschollenen Dompläne zu suchen, die sie einst in den Händen gehalten hatte. Dieses Vorhaben hätte sie auf andere Weise in Angriff nehmen müssen. Cornelius und David, wahrscheinlich auch François, hätten ihr geholfen, wenn sie die Absicht mit ihnen besprochen hätte. Sogar mit ihrer Mutter hätte sie sich darüber beraten müssen. Sie mochte eine überempfindliche, von starken Schuldgefühlen geleitete Frau sein, aber sie besaß einen Sinn für Gerechtigkeit und eine ihr eigene Art von Pragmatismus. Elenas unablässiger und hartnäckiger Einsatz für die ledigen Mütter hätte ihr eigentlich früher die Augen öffnen müssen. Sie mochte sich, wenn das Schicksal sie allzu hart anfasste, in ihre Zustände flüchten, aber sie hatte auch Standhaftigkeit bewiesen.
An Cornelius dachte sie ebenfalls. Nur selten hatte er von seiner Zeit im Bagno berichtet, aber sie konnte sich ausmalen, was er erlitten hatte. Sie bewunderte ihn dafür, der Hölle unbeschadet entkommen und wieder fähig zu sein, Heiterkeit zu empfinden, zu vertrauen und sogar zu trösten. Sie erinnerte sich daran, wie er sie am Abend von Waldeggs Tod in den Arm genommen hatte und sie lange nur einfach fest an sich gedrückt hatte. Sie konnte nicht weinen, aber sie war fassungslos vor Kummer gewesen. In jener Nacht war er ihr Halt gewesen, unerschütterlich und ruhig, obwohl genauso betroffen und traurig wie sie.
Sie hatte alles verspielt. Sie war feige, selbstsüchtig und unverzeihlich dumm gewesen. Die Strafe dafür würde sie ereilen. Sie würde sie annehmen, ohne ein Wort über ihre Familie zu verlieren. Auf Diebstahl stand mehrere Jahre Zuchthaus und zuvor die Ausstellung am Pranger. Sie hoffte nur, dass sie nicht auch gebrannt würde, davor hatte sie wirklich Angst. Das andere – vielleicht überlebte sie ja.
Antonia drückte sich tiefer in ihre Ecke. Die trunksüchtige Hure hatte irgendwoher Branntwein erhalten und lag schnarchend mit offenem Mund auf ihrer Pritsche. Sie roch nicht gut. Noch schlimmer aber stank die fette Schlampe, die sie vorhin zu ihnen gesteckt hatten. Ein schmutziges, ordinäres Weib mit eitrigen Pusteln im Gesicht, das ihr anbot, sie unter ihrer Decke zu wärmen. Mit einer Gänsehaut vor Ekel setzte sie sich gegen sie zur Wehr. Das jammernde Psalmodieren der ehemaligen Nonne überhörte sie inzwischen, und mit angezogenen Beinen rollte sie sich auf der harten Unterlage zusammen, um in einen Halbschlaf zu fallen. Daher nahm sie kaum wahr, dass sich die Tür öffnete und ein Mann eintrat. Erst als sie seine Stimme hörte, zuckte sie zusammen. Sie
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