Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
und frisierte, aß sie heißhungrig einige Brote. Es dünkte sie, nach dem entsetzlichen Essen im Gefängnis, wie ein reines Festmahl. Das frische Kleid fühlte sich wunderbar an, und allmählich löste sich die Lethargie, die sie seit zwei Wochen umfangen hielt. Ihr wurde bewusst, dass wahrhaftig eine Art Wunder geschehen war. Sie forderte Maddy auf, sich das Gesicht zu waschen und sie nach unten zu begleiten.
Geißlers, François Joubertin und Cornelius saßen zusammen in der Teestube und unterhielten sich, als sie an den Tisch trat. Marianne sprang auf und ging mit zwei schnellen Schritten zu ihr. Beide Hände nahm sie in die ihren und fragte mit besorgtem Blick: »Geht es Ihnen gut, Fräulein Lindenborn-Waldegg? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. All diese Missverständnisse sind geschehen, weil Sie so gütig waren, mir meinen Ring zurückzuerstatten.«
»Es ist vorbei. Hoffe ich!«
»Ja, es ist vorbei. Wie unendlich gut, dass Sie mir diese seltsamen Grüße an François Joubertin aufgetragen haben! Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was geschehen wäre, wenn ich ihm nicht von Ihnen berichtet hätte.«
Auch François war aufgestanden und sah Antonia mit einem augenzwinkernden Lächeln an.
»Meine Liebe, Sie haben Schicksal gespielt. Konnte ich anderes tun, als mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für Sie in die Bresche zu werfen?«
»Habe ich Schicksal gespielt?«
»Ich fürchte, ja.« Er sah zu Marianne hin, die leicht errötend sein Lächeln erwiderte. »Aber nun müssen Sie sich erzählen lassen, mit welch einem erstaunlichen Gaukelstückchen ein ehrenwerter Herr wie Cornelius zwei Straßenräubern ein Geständnis abgerungen hat.«
»Herr«, mischte Maddy sich ein und sank vor Cornelius in die Knie. »Herr, können Sie nicht auch Xavier helfen?«
»Nein.« Er betrachtete sie kalt. »Auf keinen Fall. Er hat zugegeben, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein. Und auch an weiteren Schandtaten. Du hast dein Herz dem Falschen geschenkt, Maddy.«
»Sie werden ihn hinrichten!«
»Vielleicht. Finde dich damit ab.«
»Sie sind herzlos!«, kreische sie auf, und Antonia packte sie an den Schultern und schüttelte sie.
»Ich habe dir vor drei Jahren eine Chance gegeben, Maddy. Ich gebe dir jetzt noch einmal eine, weil du mir auf einem langen Weg beigestanden hast. Aber er hat Recht.«
Die kleine Zofe war still geworden und sah ihre Herrin mit seelenwunden Augen an. »Du weißt nicht, was Liebe bedeutet, Toni. Hoffentlich musst du nie erfahren, was es heißt, den Geliebten in den Tod gehen zu sehen.«
Ein eisiger Schauder flog über Antonias Haut.
Hoffentlich, dachte sie.
Vaterschaft
Sprich mir von allen Schrecken des Gewissens, von meinem Vater sprich mir nicht!
Don Carlos, Schiller
In der Kutsche fanden am nächsten Morgen die beiden Damen, Maddy und Jonathan Geißler Platz, Cornelius und François ritten voran. Auf der gut ausgebauten Chaussee entlang des Rheins erfuhr Antonia während der beiden Reisetage durch Marianne und ihren Vater mehr über Kormanns Geschäfte. Wie es schien, hatte er seine Position als Wohlfahrtskommissär inzwischen aufgegeben und betätigte sich als Geschäftsmann im so genannten Verlagswesen. Er kaufte Rohstoffe, vor allem Tuche, auf, um sie von einigen Schneidern in deren Werkstätten zu Uniformen verarbeiten zu lassen. Die fertigen Stücke sammelte er in Lagern, um sie dann in entsprechenden Kontingenten seinen Auftraggebern, in diesem Fall das französische Militär, zu verkaufen.
»Sehr einträglich in diesen Zeiten, Fräulein Antonia, sehr einträglich. Aber von nicht unbeträchtlichem Risiko. Ich hoffe, er hat die Handwerker gut unter Kontrolle, denn Qualität und Menge müssen stimmen, und die Termine müssen pünktlich eingehalten werden.«
»Es stammt aus einer Weberfamilie, ich vermute, er hat gute Beziehungen zu den Schneidern und Nähern.«
»Die hat er, und man kann es sogar als wohltätigen Akt bezeichnen, was er mit seinem Geschäft betreibt, denn nach Aufhebung der Zünfte sind viele durch die auswärtige Konkurrenz verarmt. Denen bietet er jetzt Lohn und Brot, denn alleine könnte kein armes Schneiderlein so große Aufträge akquirieren, wie er es tut.«
»Nun, der Gesichtspunkt der Wohltätigkeit dürfte ihm dabei nicht der wesentliche sein. Kormann ist ein – sagen wir im weitesten Sinne – dubioser Charakter«, erklärte Antonia nüchtern. Sie erinnerte sich an seinen Verrat an der Aristokratenfamilie und warnte
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