Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
das dünne Fichu vom Hals, streckte die Hände nach einem der ankommenden Eimer aus und goss sich dessen Inhalt über den Kopf. Das nasse Leinen-Fichu legte sie sich übers Gesicht, dann rannte sie, der Proteste nicht achtend, in das Haus. Hinten im Hof wütete schon das Feuer, aber die Stiege schien noch sicher. Sie stürmte die knarrenden Stufen hoch und sah sich um. Von den zwei Kammern war eine Tür offen, aber hier war kein Kind. Die Tür zu der anderen klemmte von der Hitze, die sich entfaltete hatte, und sie hatte alle Kraft nötig, sie aufzustoßen. Ihre geprellte Schulter bemerkte sie nicht, sondern rannte zu dem Bettchen, wickelte das Kind in sein Tuch und wollte nach unten. Doch hier hatte sich inzwischen starker Rauch gesammelt, und hustend musste sie die Tür hinter sich zuwerfen. Ohne Zögern riss sie das Fenster auf und schrie: »Fangt sie! Fangt das Kind!«
Hände reckten sich nach oben, und das kleine Kind wurde, kreischend vor Freude an dem neuen Spiel, von ihnen sicher aufgefangen.
»Springen Sie auch, hier unten kommen Sie nicht mehr durch!«, brüllte ein Mann nach oben, und Antonia raffte ihre Röcke zusammen. Gut zehn Fuß tief würde sie fallen, aber sofort hatten sich vier Männer gefunden, die ihre Hände verschränkten, um sie aufzufangen. Nach Luft ringend und keuchend, aber beherzt, kletterte sie durch das kleine Fenster über die Fensterbank und dankte den vielen Jahren, die sie als Bub auf Bäume geklettert war. Vorsichtig hielt sie sich an dem Sims fest, ließ die Beine nach unten baumeln und war froh um die langen Unterhosen, denn ihr Rock verzog sich auf sehr unschickliche Weise. Dann ließ sie sich fallen.
Die Hände konnten sie nicht halten, milderten jedoch den Sturz. Trotzdem schlug sie hart mit dem Rücken auf dem Pflaster auf und blieb einen Moment benommen liegen. Jemand half ihr auf, und zwei starke Arme packten sie unter den Achseln, um sie von dem brennenden Haus wegzuschleifen.
»Das Kind?«, fragte sie zwischen zwei Hustenanfällen.
»Ist bei seiner Mutter, dieser verdammten Schlampe. Heult und flennt, statt sich um ihre eigene Brut zu kümmern. Das war ziemlich mutig von Ihnen, Fräuleinchen!« Es war eine stämmige Frau, die ihr einen Becher Wasser einflößte und ihr eine Decke um die Schultern legte. »Sie sind ganz nass. Kommen Sie, ich suche Ihnen trockene Kleider heraus.«
»Jakoba. Ich muss nach Jakoba sehen!«
»Die kann sich um sich selbst kümmern.«
»Nein, ich muss sie suchen. Sie sorgt sich um mich.«
»Also gut.«
Antonia wickelte die grobe Decke fester um sich und drängte sich durch die Menge zu dem Hauseingang, wo sie Jakoba mit den Körben verlassen hatte. Doch hier war das nächste Unglück geschehen. Zwei Frauen beugten sich über die Köchin, die niedergesunken war.
»Ich fürchte, es hat sie der Schlag getroffen. Die Aufregung war zu viel für sie«, erklärte eine von ihnen.
»Sie muss nach Hause. Es ist nicht weit. Kann mir jemand helfen?«
»Die Männer müssen alle löschen. Ach was, komm, Berti, wir schaffen das schon. Wir legen sie in eine Decke und tragen sie an den Zipfeln.«
Die beiden Frauen waren resolute Markthändlerinnen, und zusammen mit Antonia schafften sie es, die bewusstlose Jakoba heimzubringen.
Trotz des heißen Bades, trotz der wärmenden Getränke, trotz der heißen Ziegelsteine im Bett – Antonia klapperten am Abend die Zähne vor Schüttelfrost und Fieber, und die nächsten Tage verbrachte sie nur halb bewusst, hustend und mit schmerzenden Gliedern im Bett. Selbst ihrer robusten Natur waren die eisigen nassen Kleider, die Anstrengung, die vielen Prellungen von dem Sturz und die ausgestandene Angst zu viel geworden. Eine Unterkühlung, die Doktor Schmitz bedenklich von Lungenentzündung sprechen ließ, hatte sie niedergeworfen. In ihrem dämmernden Zustand nahm sie wahr, das sich Maddy, Linda, ihre Mutter und manchmal auch Susanne beständig um sie kümmerten, ihr Arzneitränke einflößten, sie mit Suppe fütterten und kühle Tücher auf ihre Stirn legten. Beinahe zehn Tage kämpfte sie gegen das Fieber an, dann erwachte sie eines Morgens und seufzte vor Erleichterung, weil die andauernden Kopf- und Gliederschmerzen sie endlich verlassen hatten.
Elena kam an ihr Bett und stellte das Tablett mit Tee und Haferschleim ab.
»Guten Morgen, Maman. Ich bin wieder gesund.«
»Guten Morgen, mein Liebes. Ganz bestimmt. Aber trotzdem wirst du im Bett bleiben und nicht gleich zu einem Ausritt
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