Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
den genialen Feldherrn und Eroberer. Schließlich verdiente er an dessen kriegerischen Auseinandersetzungen ein erkleckliches Sümmchen. Genug, um Charlotte zur Geburt seiner Tochter Karla Marie ein kostbares Collier schenken zu können, das sie anlässlich des Kaiserbesuches natürlich trug.
Das Gespräch mit dem kurzgewachsenen und mit den Jahren stämmig gewordenen Imperator verlief wohlwollend und nichtssagend, dennoch suhlte Kay Friedrich sich in seiner Huld, und die darauffolgenden Konsultationen mit etlichen Herren aus dem kaiserlichen Gefolge verliefen ergebnisreich. Napoleon, zur Inspektion der Rheinarmee aufgebrochen, prüfte, akribisch wie er war, Festungen und Brücken, Straßen und Garnisonen. Die Ausrüstung seiner Soldaten lag ihm am Herzen, und ein Mann, der gute Beziehungen zu den Militärs hatte, konnte reichlich Aufträge erwarten. Zumal einigen Offizieren die Ausstattung der Ehrengarde gefallen hatte, für deren Einkleidung Kormann zuständig gewesen war. Außerdem gab es natürlich immer auch Gerüchte. Es selbst spitzte die Ohren, und Charlotte tat bei den Damen das Nämliche.
Nichts war konkret in diesem November, aber es schwelte Unruhe. Eine Unruhe, die der Kaiser verströmte. Böse Zungen warfen ihm Größenwahn vor, munkelten, er habe völlig den Boden unter den Füßen verloren, sinne auf einen weiteren Krieg, sei süchtig nach Siegen und Erfolgen geworden. Mit seinen feinen Sinnen für politische Wetteränderungen erspürte Kormann diese Schwingungen. Europa schien, oberflächlich gesehen, seit dem Sieg über die Österreicher bei Wagram befriedet, aber an den Grenzen wurde die Macht des Herrschers immer wieder auf die Probe gestellt. In Spanien machten die Engländer und die einheimischen Guerillas den Okkupationstruppen das Leben schwer, Preußen reorganisierte sein Staatswesen und sein Heer, und in den Rheinbundstaaten entstanden Freicorps, die sich die nationale Unabhängigkeit auf die Fahnen geschrieben hatten. Vor allem aber die skandinavischen Staaten und Russland missachteten offen die Kontinentalsperre, und die Güter aus den geächteten Staaten konnten ungehindert, wenn auch über gewisse Umwege, auf den Kontinent gelangen. Was sich dazu hinter den verschlossenen Türen der hohen Diplomatie abspielte, erfuhren die Untertanen natürlich nicht im Einzelnen. Offiziell betitelten sich der Zar von Russland und der Kaiser von Frankreich herzlich als Brüder, der Kaiser von Österreich war seit Kurzem der Schwiegervater Napoleons, und der König von Preußen trauerte noch immer um seine Luise, statt sich dem unbequemen Geschäft der Staatsführung zu widmen. Aber es gab Stimmungen. Sie rochen nach Krieg. Nach einem großen Krieg. Irgendwer hatte das Wort von der Grande Armée geflüstert.
Als Napoleon die Stadt verlassen hatte, verbrachte Kormann lange Stunden in seinem Comptoir. Es galt, Briefe zu schreiben, Berechnungen anzustellen und Maßnahmen zu planen. Die Chance für einen wirklich großen Wurf war da. Wenn das Heer – gerüchteweise eine halbe Million Männer – aufgestellt wurde, brauchte man Unmengen an Uniformen, Mänteln, Decken und so weiter. Jonathan Geißler erhielt eine Anfrage über die Tuchmengen, die er in den folgenden Monaten liefern konnte, Gürtelmacher, Schneider, Näher, Knopflieferanten und alle denkbaren anderen Zulieferer bekamen ähnlich lautende Schreiben. Dann wandte Kay Friedrich sich wieder dem Immobilienmarkt zu und trachtete danach, mehr Lagerplatz zu erhalten. Es gab weiterhin Häuser, die die Hospizienkommission abzustoßen bereit war, jetzt jedoch nur noch sehr heruntergekommene Quartiere. Aber das war für die Zwecke, für die sie dienen sollten, nicht relevant. Nicht zuletzt war ein Besuch bei dem Bankier Schaaffhausen notwendig, der sich mit gerunzelter Stirn den Kreditwunsch des Herrn Kormann anhörte und um einige Tage Bedenkzeit bat.
Das verärgerte Kay Friedrich, wie so verschiedene kleine Verdrießlichkeiten in der letzten Zeit eingetreten waren. Erst spielten sie sich auf gesellschaftlicher Ebene ab, was Charlotte beleidigte, weil die Damen der Gesellschaft sie zunächst kühl empfingen, nach einer Weile aber sogar schnitten. Besorgt wurde er, als der junge Joubertin die Tochter Jonathan Geißlers, diese Marianne, heiratete. Es war eine Hochzeit, bei der sich die halbe Stadt im Dom und hinterher zu einem Fest ungeheuren Ausmaßes einfand. Kormanns waren nicht eingeladen worden. Etwas später hatte er vorsichtig vorgefühlt, ob
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