Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
beiden Leutnants noch nicht im offiziellen Dienst. Vor anderthalb Jahren hatten sie die École militaire absolviert und waren zu Fähnrichen im fünfunddreißigsten Infanterieregiment ernannt worden. Dann aber hatten sie sich für ein Jahr beurlauben lassen, um Nikolaus’ Verwandte in England zu besuchen. Sie waren über Köln gereist und hatten bei dem Domherrn von Waldegg Station gemacht. Er war Davids leiblicher Vater, doch zwölf Jahre zuvor hatte seine Mutter Isabetta einen preußischen Major geheiratet und war mit ihm nach Berlin gezogen. Mit dem Domherrn aber war er in brieflichem Kontakt geblieben: Besuchen können hatte er ihn in dieser Zeit jedoch nie. Das Wiedersehen berührte ihn tief. Das Verhältnis zwischen ihnen war von Achtung und Zuneigung geprägt. Darum hatte er gerne den Umweg über Brest gemacht, um dort herauszufinden, ob man etwas für seinen Cousin Cornelius tun konnte. Viel war es nicht. Er hatte ihn nicht sprechen dürfen, aber er erfuhr, dass er lebte und gesund war. Angeblich zeichnet er sich durch gute Führung aus, und man schloss eine vorzeitige Entlassung nicht völlig aus. Wenigstens konnte er bei dem Admiral, der das Kommando über das Arbeitslager hatte, einen kurzen Brief für Cornelius hinterlassen, der ihm bei seiner Freilassung ausgehändigt werden sollte. Auch die Adresse einer Bank befand sich darin, bei der etwas Geld für ihn bereitläge, wenn er sich wieder auf freiem Fuß befände.
David und Nikolaus schlenderten nach der Parade auf dem Exerzierplatz zu ihrer Unterkunft und hatten noch so viel Energie, dem einen oder anderen bewundernden Blick junger Damen mit einem herausfordernden Lächeln zu antworten.
»Du wirst heute Abend wieder die Herzen brechen, David.«
»Erstaunlich, wie langweilig einem das werden kann.«
Nikolaus lachte trocken auf. »Es trifft immer die Falschen. Du siehst einfach zu gut aus, mein Junge. Sogar wenn du deine schwarzen Haare unter dem Puder verstecken musst. Meine Cousine Dorothea seufzt sehnsüchtig, wenn ich dich erwähne.«
»Es wird Krieg geben, Nikolaus. Der Zar ist nicht hier in Berlin, um sich Denkmäler, Militärakademien und Porzellanmanufakturen anzuschauen. Er knüpft mit unserem König ein Bündnis gegen die Franzosen. Das wird Napoleon sich nicht bieten lassen.«
»Ein Grund, sich eines liebenden Herzens zu versichern, das für dich betet, wenn du in die Schlacht ziehst.«
»Vielleicht.«
»Gut, mich würde es nicht stören, David, dich enger an unsere Familie zu binden. Aber dann gibt es keine Besuche mehr bei der schönen Lavinia, verstanden?«
»Das ist einer der Gründe, warum ich zögere, mein Lieber. Denn die schöne Lavinia hat ihre ganz eigenen Reize.«
Die beiden waren gute Freunde geworden, sie kannten sich schon, seit David mit elf von seinem Stiefvater, dem Major Cattgard, auf die Kadettenschule geschickt worden war.
Gerne war David dort nicht eingetreten, und die ersten Monate waren hart gewesen. Die Schüler dort stammten überwiegend aus dem protestantischen preußischen Adel, er kam aus dem katholischen Köln, war nur der angenommene Sohn eines Offiziers von niedrigem Adel, sprach anders, gebärdete sich anders und kannte all die kleinen Angewohnheiten und Rituale nicht, die ihn zum Mitglied der Gruppe hätten werden lassen können.
Er biss sich durch den Lehrstoff und bekämpfte sein Heimweh, so gut es ging. Er bekämpfte auch den Drang, sich gegen die beständigen Repressalien durch die Mitschüler, die kleinen Demütigungen und Spitzen, zur Wehr zu setzen, aber einmal brach seine Wut durch, und er verprügelte einen jungen Grafen.
Der Schulleiter verprügelte ihn und setzte ihn auf Wasser und Brot.
Sein Stiefvater verprügelte ihn noch einmal.
Isabetta schluchzte. David nicht.
Er schrieb von diesem Vorfall nichts in seinem wöchentlichen Brief an Hermann von Waldegg.
Doch diese bittere Erfahrung bescherte ihm zwei Dinge – das Geschenk einer beständigen Freundschaft und eine tiefe Feindschaft. Nikolaus Dettering war genau so ein Außenseiter wie er. Ein schmächtiger Junge, gut ein Jahr jünger als er, der wegen seiner niedrigen Herkunft keinen Anschluss fand oder nicht suchte. Er war der Sohn eines Pastors und hatte den Zugang zur Kadettenschule nur durch Vermittlung seines Großvaters, eines alten Generals, erhalten. Nikolaus war zwar schüchtern, aber von dem glühenden Wunsch beseelt, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. David fand ihn eines Nachmittags über seine Bücher
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