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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gebeugt in einem leeren Schulzimmer, aus dem er ein vergessenes Heft holen wollte. Er hatte den Kopf in die verschränkten Arme auf dem Pult vergraben, und seine Schultern zuckten in einem lautlosen Weinkrampf.
    David hatte ihn zuvor einige Male abseits von den anderen stehen sehen, ihn aber, da er eine Klasse unter ihm war, nicht weiter beachtet. Jetzt, direkt mit seinem Elend konfrontiert, verspürte er Mitleid mit ihm und setzte sich auf die Bank neben ihn.
    »Ärger?«
    Nikolaus zuckte zusammen und rückte von David ein Stückchen weg.
    »Entschuldigung«, stieß dieser pikiert hervor und wollte wieder aufstehen. Der Junge schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Ja, Ärger.«
    David war besänftig und sah auf das Buch. Geometrie. Einfache Dreiecke. Er deutete darauf. »Kommst du damit nicht zurecht?«
    Schulterzucken.
    »Strafarbeit?«
    »Was geht’s dich eigentlich an?«
    »Nichts natürlich. Ich weiß ja, wie die Aufgaben zu lösen sind.«
    »Außer mir weiß das vermutlich jeder«, kam es bitter von dem Jungen.
    »Aber keiner erklärt es dir, was?«
    »’n dummer Pastorsjung wird das sowieso nie kapieren.«
    »Richtig, dafür muss man schon von Holzkopf und Schnarrlippe sein.«
    Nikolaus sah auf und nahm jetzt sein Gegenüber genauer wahr. »He, sag mal, du bist doch der, der dem Verdammnitz das Veilchen verpasst hat! Mann!«
    »Ich bedauere immer wieder und unermesslich, dem hochedlen Herrn Johannes Dionysus von Damitz diesen Tort angetan zu haben. Aber du glaubst gar nicht, wie gut mir das getan hat. Es hat sogar die anschließenden Stockprügel erträglich gemacht.«
    »Ich heiße Nikolaus Dettering. Ohne von.«
    »David, leider von Hoven. Aber ohne Titel. So, und jetzt widmen wir uns mal der Winkelsumme im Dreieck.«
    Von diesem Tag an wurden sie Freunde, und in den nächsten Ferien lud Nikolaus Davidzu seiner Familie im Brandenburgischen ein. Denn er hatte gemerkt, dass David nur ungern das Haus seines Stiefvaters aufsuchte. Major Cattgard gab seine Zustimmung, erleichtert, sich nicht mit dem heranwachsenden Bastard seiner Frau herumplagen zu müssen, die inzwischen seinen eigenen Erben unter dem Herzen trug.
    Der Aufenthalt im Haushalt des Pastors Dettering wurde für den Stadtjungen David zu einer ganz neuen Erfahrung. Das Pfarrhaus in Werneuchen, ein Fachwerkbau mit gelbem Anstrich und kleinen Fenstern, einem geräumigen Vordergiebel und ein paar alten Kastanienbäumen, deren hohe Kronen das ganze Haus in Schutz zu nehmen schienen, war ihm gleich zu Beginn mehr ein Zuhause als die vornehme Stadtwohnung Cattgards in Berlin. Die Aufnahme in der kinderreichen Pastorsfamilie war herzlich, das Landleben ein einziges Abenteuer. Eine Rasselbande von halbwüchsigen Burschen zog durch die Felder und Gehölze, tobte in Scheuern und Ställen, planschte im Mühlteich und kletterte auf Bäume. Ihr Anführer war der stämmige Sohn des Eisenwarenhändlers Burk, dem immer wieder neue Streiche einfielen, nicht immer ganz harmlose, wie sich nach und nach herausstellte. Er verlangte auch von den anderen Jungen strikten Gehorsam, und dank seiner Körperkräfte respektierten die meisten seinen Führungsanspruch. Denn wenn er Widerspruch verspürte, war er schnell dabei, kräftige Prügel zu verabreichen.
    Und dann kam der Zwischenfall mit den Kühen. Adam hatte aus dem väterlichen Laden ein paar Hände voll Schrauben und Nägel mitgehen lassen, und sie hatten aus Schilfrohr und Holunderzweigen Blasrohre hergestellt. Zunächst war die Beschäftigung damit harmlos, sie machten Zielübungen auf Baumstämme, dann auf alte Flaschen. Nikolaus machte nicht mehr mit, als Adam begann, auf Vögel zu zielen, und David weigerte sich, dem angeketteten Hofhund Nägel aufs Fell zu brennen. Es kam wieder einmal zu einem Streit und einer Prügelei, bei der David mit zerrissenem Hemd den Kürzeren zog. Er suchte sein Heil in der Flucht und erhielt dabei einen schmerzhaften Treffer an der Schläfe, von einer Schraube aus dem Blasrohr. Benommen blieb er eine Weile liegen und musste mit ansehen, wie alle anderen sich schnellstens von ihm abwandten. Nur Nikolaus lief zu ihm hin, während Adam seine Kameraden aufstachelte, die Zielgenauigkeit der metallenen Projektile an der Kuhherde auszuprobieren. Mit lauten Gejohle feuerten seine Getreuen auf die grasenden Rinder. Schwerfällig versuchten die Tiere den schmerzhaften Geschossen zu entkommen und galoppierten blökend über die Weide. Eine Kuh blieb mit dem Vorderhuf in

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