Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
davonsprengte. Die nickte nur und warf die nächste Knolle in den Topf mit Wasser. Dann wischte sie sich die Hände am Hosenboden ab und reckte sich.
»Hast du was dagegen, wenn ich mich mal umsehe? Ich denke, ein paar Äpfel und Zwiebeln finde ich irgendwo.«
Ihre Mutter warf einen kritischen Blick auf die Vorräte. Auf Colonel Renardets Rat hin hatten sie einem Bauern mehrere Sack Kartoffeln abgekauft, aber reichen würden sie nicht lange. Dieser Feldzug war eine ziemliche Strapaze. Dass sie ihn überhaupt mitmachten, hatte eine Reihe von Gründen.
Antonia hatte noch zu Beginn des Jahres 1806 bei Johannes Hintzen gearbeitet, doch im Januar sorgte die Besetzung Darmstadts durch französische Truppen für Aufregung. Landgraf Ludewig der Zehnte, zwar ein Günstling Napoleons, war mit seiner Eigenmächtigkeit zu weit gegangen. Er hatte sich bisher standhaft geweigert, den Rheinbundstaaten beizutreten. Damit wäre er dem französischen Herrscher zu Abgaben verpflichtet gewesen, vor allem aber zur Waffenhilfe. Seine Armee wollte er jedoch in den Kriegen des Kaisers nicht opfern. Nun machten die Einquartierung der französischen Soldaten, die militärische Verwaltung und Vorschriften der Besetzer das Leben ungemütlich. Man lebte mit Entbehrungen und Erschwernissen im Handel. Dennoch gab es im Antiquariat genug zu tun. In den langen, dunklen Wintermonaten machte ihr das alles nicht so viel aus, aber als der Frühling mit seinen süßen Düften, den bunten Blumen und dem frischen Grün ins Land zog, betrat sie nur mit einem mühsam unterdrückten Knurren den muffigen Laden.
Als sich die Gerüchte im Laufe des Sommers verdichteten, der Landgraf würde nun doch seinen Verpflichtungen nachkommen – und zum Lohn dazu die Großherzogswürde erhalten – suchte Antonia ihre Knabenkleider wieder aus der Truhe. Sie bedurften einiger Änderungen, und Neuanschaffungen waren auch vonnöten.
»Antonia, was soll das bedeuten?«, wollte Elisabeth wissen, als sie Toni morgens noch in ihrer Kammer antraf. »Gehst du nicht in die Buchhandlung?«
»Nein, Mama.«
»Was machst du da?«
»Ich suche mir vernünftige Kleider heraus. Die Stiefel sind zu eng geworden. Ich werde neue brauchen.«
»Aber bestimmt nicht.«
»O doch! Es wird wieder Krieg geben, Mama.«
»Wenn schon. Wir werden hierbleiben. Es gibt keinen Grund mitzuziehen. Die Darmstädter …«
»Müssen viertausend Mann stellen. Ja, glaubst du denn, Jupp und Franz bleiben in der Garnison und stricken Stümpfe, während ihre Kameraden gegen die Preußen ziehen? Und ich kann auch nicht hierbleiben. Ich will nicht bleiben! Ich hasse diesen dumpfen, staubigen Laden! Es widert mich an, dem alten Hintzen die Socken zu stopfen und seinen klebrigen Haferbrei zu kochen. Es widert mich an, schimmelige Bücher zu sortieren. Und es widert mich an, mir von dem schimmeligen, staubigen Hintzen unter die Röcke fassen zu lassen.«
»Heilige Sankte Maria!«, fuhr ihre Mutter auf. »Warum hast du das nicht früher gesagt?«
»Weil er es gestern zum ersten Mal versucht hat. Ich habe ihm eine Bibel auf seine staubigen Locken gehauen.« Sie knirschte mit den Zähnen. »Er kann froh sein, dass ich mein Messer nicht dabeihatte.«
»Ich werde ein Wörtchen mit ihm reden.«
»Lass es, Mama. Rede lieber ein Wörtchen mit Colonel Renardet.«
»Mit wem?«
»Erinnerst du dich nicht? Letztes Jahr trafen wir ihn unterwegs – der Offizier, der sich verirrt hatte. Er kommandiert die Truppen, die die Stadt besetzt halten, habe ich gehört. Er war nett. Vielleicht kann er dir helfen, eine Lizenz zu bekommen.«
»Vielleicht gibt es gar keinen Krieg.«
»Mama! Napoleon hat Hannover besetzt und ist durch Ansbach marschiert, das war ein Schlag ins Gesicht für die Preußen. Aber wenn du mir nicht glaubst – Jupp und Franz werden es dir bestimmt bestätigen.«
Sie taten es, und dann überstürzten sich die Ereignisse. Hessen-Darmstadt trat dem Rheinbund bei, die Besetzer zogen ab. Am 6. August dankte der deutsche Kaiser ab, am 14. August verkündeten die Gazetten in Darmstadt die Erhebung Ludewig des Zehnten zum Großherzog Ludewig dem Ersten. Kurz darauf hörte man von der Mobilmachung der Preußen, denn es war bekannt geworden, Frankreich habe das Kurfürstentum Hannover, das Preußen zufallen sollte, Großbritannien angeboten. Diese Tatsache verstimmte Friedrich Wilhelm den Dritten. derartig, dass er am 26. September den französischen Kaiser aufforderte, alle rechtsrheinischen Gebiete zu
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