Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
zur Seite und begann die fast trockenen Haare zu einem langen Zopf zu flechten.
»Bin ich eigentlich nicht. Ich habe nur manche Sachen aufgeschnappt.«
»Es interessiert dich, und du kannst kluge Schlüsse daraus ziehen. Ich bin mit Wilhelm damals mitgezogen, weil ich bei ihm bleiben wollte. Weil ich Angst hatte, alleine in Köln unter den Franzosen zu bleiben.« Sie lachte freudlos auf. »Wohin hat’s mich geführt? – unter die Franzosen.«
»Sie sind genauso gut oder schlecht wie andere auch.«
»Ja, das ist wohl so. Mal siegen die einen, mal die anderen. Im Augenblick sind die Franzosen die Gewinner, und da mag es nicht schlecht sein, auf ihrer Seite zu stehen.«
Toni streckte sich im warmen Moos aus und blinzelte zu ihrer Mutter hoch, die, ihr Kinn in die Hände gestützt, in die Ferne schaute.
»Was ist, Mama? Willst du nicht von der Last sprechen, die du trägst? Meinst du nicht, ich sei inzwischen alt genug, um sie mit dir zu teilen?«
»Du bist es sicher, Antonia. Du bist eigentlich schon immer älter als deine Jahre gewesen. Es liegt nicht nur daran, dass du ein Leben geführt hast, das einem jungen Mädchen nicht angemessen ist. Damals, an jenem Ursulatag, habe ich es mir völlig anders ausgemalt.«
»Was ist denn an diesem Tag geschehen? Du warst schwanger mit mir, nicht wahr?«
»Das ist ja das, was mich so belastete, Antonia. Ich habe mir immer eine Tochter gewünscht. Nach der Geburt von Jupp und Franz habe ich drei Kinder tot zur Welt gebracht. Drei kleine Mädchen. Danach... danach, Antonia, konnte ich keine Kinder mehr bekommen.«
»Mama?«
»Dennoch ist mein innigster Wunsch in Erfüllung gegangen. Meine Gebete wurden erhört, und an jenem einundzwanzigsten Oktober kam eine Frau mit einer großen Bitte zu mir. Ihre Freundin war schwanger geworden und konnte das Kind nicht behalten. Sie wusste, ich wünschte mir noch eines und fragte mich, ob ich ihr helfen könnte.«
»Mama?« Jetzt klang Panik in Tonis Stimme mit. Das Ungeheuerliche fand allmählich den Weg in ihr Bewusstsein.
»Ich bin nicht deine leibliche Mutter, Antonia. Aber ich bin deine Mutter mit ganzer Seele und meinem ganzen Herzen. Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt wie mein eigenes Kind. Gott verzeih mir, manchmal sogar weit mehr.«
»Mama!« Toni richtete sich auf und schaute Elisabeth ins Gesicht. Sie musste schlucken, und irgendwie schien ihr Hals immer enger zu werden. Elisabeth wollte sie in den Arm nehmen, aber Toni zog sich zurück.
»Ich weiß, es erschreckt dich, Antonia. Aber ich musste es dir sagen. Einmal musste ich es dir ja sagen. Wer weiß, was die Zukunft bringt.«
»Nichts, was das ändert. Du bist meine Mutter. Und du bleibst das auch.«
»Natürlich, Liebchen. So Gott will. Trotzdem solltest du wissen, woher du stammst.«
»Ich will es aber nicht wissen. Diese Frau hat mich weggegeben. Sie wollte mich nicht. Du wolltest mich. Mich interessiert die andere nicht.«
»Antonia, zu der Last, die ich trage, gehört auch, dass ich dir von ihr erzähle. Du wirst mir zuhören müssen.«
»Ich will nicht!« Trotzig hielt Antonia sich die Ohren zu und sprang auf. Elisabeth ließ sie gewähren. Es war ein harter Schlag für sie. Statt weiter in sie zu dringen, nahm sie sich der Wäsche im Kessel an und holte die einzelnen Stücke heraus, um sie im Bach auszuspülen. Wortlos ging ihr kurz darauf Toni zur Hand.
Am fünfundzwanzigsten Oktober erreichten sie mit ihrem Wagen die Truppen wieder und nahmen ihre Geschäfte auf. Die Franzosen hatten mit der Belagerung Magdeburgs begonnen. Es hatte nur vereinzelte Scharmützel gegeben, und in der Nähe des Städtchens Olvenstedt fanden Jupp und Franz endlich wieder Zeit, Elisabeth aufzusuchen.
»Bring den Wagen näher ans Dorf, Mutter. Auf dem freien Feld seid ihr gefährdet, wenn es zu Gefechten kommt. Die Preußen sind verzweifelt, sie werden Ausfälle versuchen.«
Elisabeth schüttelte den Kopf. Sie hatte mitbekommen, dass Colonel Renardet zu dem Offiziersstab gehörte, der sich im Pfarrhaus einquartiert hatte. Der kleine Ort war geplündert worden, die Einwohner waren geflohen. Alles Vieh war zusammengetrieben worden, aus den Getreidegarben in den Scheuern hatten die Soldaten ihre Feldlager errichtet.
Toni und Elisabeth richteten sich am Dorfrand ein, wo sie nun, da die Soldaten sich reichlich mit den Vorräten aus dem Land versorgt hatten, gemeinsam mit den anderen Trossfrauen vornehmlich das Waschen und Instandsetzen der Uniformen
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