Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
ist tot. Leutnant Nikolaus’ Wunde ist zwar nicht lebensgefährlich, aber weit wird er damit nicht kommen.«
»Eine brillante Zusammenfassung der Lage.«
»Genau. Darum, meine Herren, würde ich vorschlagen, sie begeben sich in eine ehrenvolle Kriegsgefangenschaft. Olvenstedt liegt etwa eine Meile von hier entfernt. In der Kirche haben sie ein Lazarett eingerichtet, und Colonel Renardet hat eine hohe Meinung von Ihren taktischen Überlegungen, Leutnant David.«
»Colonel Renardet?«
»Ich musste ihm damals in Lobenstein von Ihrem Gespräch berichten. Er fand Ihren Vorschlag, die Pässe zu besetzen, beeindruckend.«
»Du hast uns verraten?« Nikolaus fuhr empört auf.
»Sie haben sich selbst verraten.«
»Ja, Nikolaus, das haben wir. Wir waren zu dumm zu erkennen, mit welch gewitztem Bürschchen wir es zu tun hatten.«
»Ich tat es nicht gerne, Leutnant. Darum möchte ich es ja jetzt wiedergutmachen. Ich denke, wir werden Ihrem Freund auf das Pferd helfen, und ich werde es dann führen. Die Soldaten im Dorf kennen mich.«
Erstaunlicherweise begehrte der verletzte Offizier plötzlich auf: »Ich werde mich doch nicht von einem Trossbuben gefangen nehmen lassen! David!«
Der Angesprochene aber schüttelte den Kopf. »Die Idee des Jungen ist nicht schlecht. Du bekommst eine vernünftige Behandlung. Besser als bei uns, will ich meinen.« Toni erklärte er mit Bitterkeit in der Stimme: »Man hat es nämlich verabsäumt, unserer grandiosen Armee Ärzte mitzugeben.«
»Der Chirurg im Lazarett scheint immerhin mehr Menschen am Leben zu lassen als umzubringen. Und, Leutnant Nikolaus – zurück zu Ihrer Einheit können Sie auch nicht mehr.«
»Aber es ist so entwürdigend. Ein kleiner Junge. Ein schmutziger kleiner Junge...«
»…nimmt Preußens Gloria gefangen! So ist das in diesen Zeiten nun mal, Nikolaus.«
»Verdammt, David, hast du denn keine Ehre mehr?«
»Gerade noch genug, um mein Ehrenwort zu halten.« Dann sah er seinen Freund eindringlich an. »Welchen Rat würde dir jetzt dein Vater geben?«
Nikolaus versank in Schweigen, und David betrachtete Toni, die ihre Blicke zwischen beiden hatte hin und her gehen lassen. Er betrachtete sie mit immer größerem Erstaunen.
»Du bist älter, als du aussiehst, und du bist kein Trossbub, Toni«, stellte er dann ruhig fest.
»Besser, ich bin’s doch, Leutnant.«
»Schon gut, dein Geheimnis ist bei mir sicher. Aber – bist du Renardets Geliebte?«
»Um Himmels willen, nein. Ich bin wirklich das Kind einer Marketenderin.« Oder einer anderen Frau, giftete es in ihrem Hinterkopf. Einer anderen, die mich weggegeben hat. Aber diese Gefühle wollte sie nicht wieder aufkommen lassen. Zu oft, seit Elisabeth ihr von ihrer Herkunft erzählt hatte, überwältigte sie die Bitterkeit darüber.
»Nun gut, Toni. Dann wollen wir mal unserem Nikolaus auf mein Pferd helfen.«
Es war ein schwieriges Unterfangen, aber schließlich gelang es. David holte die Satteltaschen und die Deckenrolle von dem anderen Tier und packte sie vor Nikolaus auf die Kruppe des Braunen. Toni hatte ihre Pistole aufgehoben und war zurück in das Gehölz gelaufen, um ihren Beutel zu holen. Als sie zurückkam, hörte sie, wie die beiden in einer ihr nicht bekannten Sprache einige Worte wechselte. Misstrauisch sah sie sie an.
»Ein englischer Kinderreim, Toni, aus alten Tagen. Wir kennen uns seit der Kadettenanstalt«, erklärte David. »Nun zeig uns den Weg.«
»Sie werden mir jetzt erst einmal Ihre Säbel aushändigen«, beharrte Toni, überhaupt nicht überzeugt von der Erklärung mit dem Kinderreim.
»Du willst dich doch nicht den ganzen Weg mit den schweren Messern abschleppen?«
»Leutnant, Sie sind mein Gefangener!«, fauchte sie ihn an.
»Du bekommst ihn, wenn wir in Sichtweite des Dorfes sind, versprochen«, mischte sich jetzt auch Nikolaus besänftigend ein, der mit schmerzgezeichnetem Gesicht auf dem Pferd saß. »Lasst uns vorangehen.«
Wieder maß Toni die beiden mit einem argwöhnischen Blick, nahm dann aber das Zaumzeug und führte das Reittier am Waldrand entlang. Als der Kirchturm in Sicht kam, noch vor der ersten Postenkette, die das Dorf umgab, stöhnte Nikolaus plötzlich auf, schwankte und sank schlaff aus dem Sattel. Sein Freund sprang hinzu und fing ihn auf.
Toni näherte sich den beiden, und gerade, als sie besorgt fragen wollte, was passiert sei, drehte sich David um, packte sie mit festem Griff, drehte ihr die Arme auf den Rücken und schob sie von dem Pferd
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