Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
übernahmen. Hier bewährte sich der Vorrat an Knöpfen, die sie nur für teures Geld verkauften.
»Machen wir heute Nachmittag eine Pause, Toni.«
Sie legten Hemden zum Bleichen auf die Wiese. Noch immer schien die Sonne warm, und Toni reckte sich, um ihre verspannten Glieder zu entlasten.
»Ich würde gerne einen Hasen jagen, Mama. Die Soldaten sind zu dumm, etwas Essbares im Wald zu finden. Aber ein Hasenpfeffer wird uns schmecken.«
»Ich weiß nicht, Toni. Es ist nicht sicher in der Umgebung.«
»Es ist auch nicht sicher hier auf der Bleiche. Ich nehme die Pistole mit. Außerdem sind die Preußen in der Stadt eingeschlossen, und die Unsrigen faulenzen lieber in ihrem Lager. Es hat schon lange kein Feuer mehr gegeben.«
Richtig war das allerdings, und zögernd gab Elisabeth ihre Zustimmung. Toni steckte die schwere Pistole in ihren Beutel, befestigte die Schleuder an ihrem Gürtel und wanderte durch das Dorf. Sie blieb unbehelligt, die Soldaten kannten sie als den Trossbuben, die wenigen Einwohner, die überhaupt noch dageblieben waren, hielten sich zumeist ängstlich in ihren Häusern auf. Von dem Posten am Dorfrand ließ sie sich das Passwort nennen und begab sich dann zu dem Gehölz, in dem sie ihre Beute vermutete. Nur drei Kinder, auf der Suche nach essbaren Waldfrüchten und Pilzen, kreuzten ihren Weg.
Sie hatte gerade ein Langohr ausgemacht, das über die Stoppelfelder zum Waldrand hoppelte, als sie durch Schüsse aufmerksam wurde. Sie klangen recht nahe. Alarmiert lauschte sie, um herauszufinden, aus welcher Richtung sie kamen, und überlegte, wie sie sich möglichst unsichtbar machen könnte. Denn von vorne waren Hufschläge zu vernehmen, hinter ihr wurde wieder geschossen. Zwischen Verfolger und Verfolgte zu geraten, war das Unangenehmste, was ihr passieren konnte. Sie drückte sich eng an den Stamm einer Eiche. Gerade rechtzeitig, denn französische Grenadiere mit angelegten Gewehren stürmten an ihr vorbei. Irgendwo am Waldsaum hatten sie die Berittenen ausgemacht und versuchten offenbar, ihnen den Weg abzuschneiden. Wieder krachten Schüsse, ein Pferd wieherte, und das Trommeln der Hufe näherte sich jetzt von der anderen Seite. Man schien eine Treibjagd mit den Männern zu machen. Vorsichtig wagte sich Toni durch das Gebüsch vor und erblickte zwei Preußen zu Pferde, die versuchten, dem Kreuzfeuer zu entkommen, das rechts und links auf sie einprasselte. Einer spontanen Regung folgend, zog sie die Pistole unter den Pilzen hervor. Das da waren mindestens sechs Mann gegen zwei, und sie veranstalteten ein reines Hasenschießen. Plötzlich, nach einer Salve, bäumte sich das eine Pferd auf, warf seinen Reiter ab und stürzte ebenfalls nach einigen Schritten nieder. Der andere schrie etwas und feuerte auf den Waldrand. Toni überlegte kühl. Sie hatten ihre Gewehre abgeschossen, das Laden würde mindestens zwanzig Sekunden dauern. Sie hob die schwere Pistole mit beiden Händen. Genau in diesem Augenblick sprangen die Grenadiere vor, um den verbleibenden Reiter zu stellen. Sie drückte zwei Mal ab. Der Rückstoß ließ sie taumeln, der Pulverdampf reizte ihre Nase, aber einer der Grenadiere sah verdutzt seiner hohen Mütze nach, die im Gras vor ihm lag. Schüsse von hinten hatte er nicht erwartet. Der Reiter schaffte es, aus ihrer Schusslinie zu flüchten, und die Franzosen schrien sich eine Warnung zu. Sie ließen den Preußen entkommen und wollten sich des rückwärtigen Feindes annehmen. Geistesgegenwärtig warf Toni die Pistole zu Boden und scharrte trockenes Laub darüber. Dann trat sie mutig aus dem Gebüsch, den harmlosen Beutel in der Hand.
Der erste der Soldaten bemerkte sie, stutzte und herrschte sie an: »Wer hat hier geschossen, Junge?«
»Dahinten, ich sah einen blauen Rock, Monsieur.«
Der Grenadier war zu aufgeregt, um sich darüber zu wundern, dass ein Pilze suchender Bengel der Einheimischen ihm fließend in seiner Sprache antwortete. Er stürzte in die angegebene Richtung, die Kameraden folgten ihm mit langen Schritten. Als sie außer Sicht waren, holte Toni die Pistole unter den Blättern hervor, wischte sie ab und lud sie neu. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem gefallenen Preußen.
Sie sah die beiden, bevor sie sie entdeckten.
Der eine saß mit ausgestreckten Beinen an einen bemoosten Baumstumpf gelehnt, der andere bemühte sich verzweifelt, einen Ledergurt um dessen Oberschenkel zu zurren.
Toni nahm die Pistole wieder in beide Hände, hielt sie drohend vor sich
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