Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
und trat aus dem Schatten der Bäume.
»Er wird das Bein verlieren, wenn Sie es so fest abschnüren. Er braucht keine Aderpresse, es ist keine Schlagader getroffen. Das kann ich von hier aus sehen.«
Leutnant Nikolaus Dettering war zwar blass und benommen vom Sturz und den Schmerzen, aber als er Toni sah, klappte ihm buchstäblich der Unterkiefer nach unten.
»Der Apfeldieb!«, stieß er hervor und begann zu lachen. »Aus welchem Dorf stammst du diesmal?«
Mit einem Grinsen beschied ihn Toni: »Na, aus unserm.«
Auch Leutnant David von Hoven hatte mit seiner Verblüffung zu ringen. Aber ihn schien der Sinn für das Lächerliche noch nicht erreicht zu haben.
»Um Gottes willen, Junge, lass die Pistole sinken«, stieß er hervor.
»Ungern. Das letzte Mal haben Sie mich übertölpelt, diesmal wird Ihnen das nicht passieren.«
»Hör mal, das Ding kann losgehen.«
»Ich weiß. Die Grenadiermütze eben war allerdings eher ein Zufallstreffer. Aber auf diese Entfernung hier werde ich es mit Gewissheit schaffen, Ihnen sogar Ihr hübsches Zöpfchen abzuschießen. Oder etwas anderes.«
»Du hast eben die Schüsse abgegeben?« Der verletzte Nikolaus drehte sich zu ihr um und stöhnte dabei auf.
»Wer sonst? Oder erwarten Sie Hilfe von Ihresgleichen?«
»David, er hat uns das Leben gerettet.«
»Nicht, solange er diese Pistole auf uns gerichtet hält.«
Toni nickte verständnisvoll. »So ist es. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, mich nicht zu behelligen?«
David von Hoven sah ihr aufrecht in die Augen, und ihr wurde weich um die Knie. Er hatte wundervolle blaue Augen, dieser verdammte Preuße. Einige schwarze Haare hatten sich aus dem Zopf gelöst und lockten sich um sein dunkles Gesicht.
»Mein Ehrenwort als Offizier«, versprach er mit einem Nicken. Sein Freund schloss sich an. »Meines auch. Abgesehen davon bin ich auch zu mehr nicht in der Lage.«
»Gut, dann will ich mich mal um Ihre Wunde kümmern.« Toni legte die Pistole neben sich und knüpfte ihr Halstuch auf. »Schneiden Sie das Hosenbein auf!«, befahl sie dem Leutnant und pflückte währenddessen einige Blätter des Knöterichs, der hier überall glücklicherweise wuchs.
»Was willst du denn mit dem Unkraut da anrichten?« Misstrauisch verfolgte David ihr Vorgehen.
»Knöterich stillt die Blutung. Vertrauen Sie mir, Leutnant, es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig.«
»Du bist ganz schön befehlsgewohnt, Toni.«
»Auch da bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als das zu ertragen. Hat die Kugel Sie gestreift oder steckt sie noch?«
»Weiß ich nicht.«
Toni fiel auf, dass der junge Mann es vermied, sein blutiges Bein zu betrachten. Er war grau im Gesicht geworden. Als sie mit spitzen Fingern das Leder des Hosenbeins entfernte, gab er ein unartikuliertes Gurgeln von sich.
»Reißen Sie sich zusammen, Leutnant. Es macht die Sache nicht leichter, wenn Ihnen jetzt schlecht wird. Es ist doch nur Blut.«
»Ein hartgesottener Bursche, dieser... Toni«, bemerkte David und betrachtete Toni mit neuem Interesse. Sie hatte inzwischen das Bein so gut es ging abgetastet und kam zu dem vorläufigen Ergebnis, es müsse sich lediglich um eine tiefe Fleischwunde handeln. Sie zerdrückte einige der Knöterichblätter in den Händen und verteilte sie auf dem zerfetzten Fleisch. Dann wickelte sie ihr Halstuch fest darüber.
»Haben Sie noch ein Tuch?«
»In der Satteltasche.«
»Holen Sie es.«
David befolgte ihre Anweisung und brachte eine Feldflasche mit Wasser zurück. Sie netzte ihre blutverschmierten Hände damit und wischte sie dann am Moos ab.
»Geben Sie es ihm lieber zu trinken«, empfahl sie und setzte sich dann neben Nikolaus. Der nahm einen Schluck und bekam, nun, da er nicht mehr auf die Wunde blicken musste, wieder eine gesündere Gesichtsfarbe.
»Danke, Toni!«, sagte er. »Du scheinst Erfahrung in solchen Dingen zu haben.«
»Habe ich.«
David setzte sich zu ihnen und konstatierte: »Du bist kein Bauernlümmel aus Lobenstein. Ein Franzose bist du auch nicht, und für einen Soldaten bist du zu jung. Also…?«
»Meine Mutter ist Marketenderin. Meine Brüder sind bei der Kavallerie. Hessen-Darmstadt. Ich muss Sie aber an Ihr Ehrenwort erinnern.«
»Wir nehmen es ernst.«
»Gut, und wieso treiben Sie sich schon wieder zu zweit hier herum? Mit unseren Grenadieren auf den Fersen? Sind Sie aus Magdeburg herausgekommen?«
»Sind wir.«
»Kuriere?«
»Toni!«
»Na gut. Ich frage nicht weiter. Aber ein Pferd ist gestürzt, und ich fürchte, es
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