Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
fort.
»Tut mir leid, Toni. Ich habe nicht einmal mehr genug Ehre übrig, um mein Wort zu halten. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, vielleicht meine letzte.«
Verzweifelt versuchte Toni freizukommen, aber der Leutnant war weit größer und kräftiger als sie, sein Griff hart wie Eisen.
»Versuch es gar nicht erst, Mädchen. Ich will dir nicht wehtun müssen.« Er schob sie ein Stück weiter von dem Tier weg, und sie strauchelte über eine Wurzel. David fing sie auf und drehte sie um. Er hielt sie an seine Brust gedrückt, so fest, dass es ihr den Atem nahm. Angst hatte sie nicht, aber sie war wütend. Aber dann sah sie wieder diese blauen Augen, um die jetzt ein kleines Lächeln spielte.
»Du scheinst alt genug dafür zu sein, und ich bin sogar ehrlos genug, auch noch das zu tun!«, stieß David hervor und küsste sie heftig und ungestüm auf die Lippen.
»Oh!«, keuchte Toni und vergaß, sich weiter zu wehren, als er sie ein zweites Mal sehr viel sanfter küsste.
»Leb wohl, Toni. Oder – au revoir? Der Zufall hat uns zweimal zusammengeführt, vielleicht will es ein gütiges Schicksal, dass wir uns ein drittes Mal treffen. Unter glücklicheren Bedingungen.« Er ließ sie abrupt los, und sie taumelte nach hinten. Verblüfft sah sie ihm zu, wie er auf das Pferd zurannte, in den Sattel sprang und dem Tier die Sporen gab.
Erst dann entledigte Toni sich ihrer Wut und Überraschung mit einer Flut französischer und deutscher Flüche, die jedem Unteroffizier Ehre gemacht hätten.
»Beeindruckend, Toni«, kommentierte der am Boden liegende Nikolaus den Ausbruch und reichte ihr seinen Säbel.
»Kinderreim!«, schnaubte sie.
»Verzeih, aber David hat schwer genug zu tragen. Nun hilf mir auf, ich bin deine Geisel. Ein Ast wie der da wäre sehr hilfreich, wenn du mich nicht tragen willst.«
Tonis Zorn war verraucht, eigentlich empfand sie sogar so etwas wie Bewunderung für die beiden. Sie brachte Nikolaus den Knüttel, nahm seine Satteltaschen auf und schulterte seine Deckenrolle. Langsam und stark hinkend setzte sich der Leutnant in Bewegung.
Der Posten hatte sein Gewehr auf sie gerichtet, und selbst als Toni ihm die Parole nannte, blieb er wachsam. Immerhin war ein preußischer Soldat, wenn auch verwundet, an ihrer Seite. Ein Corporal kam hinzu und nahm dem Wachhabenden die Verantwortung ab.
»Du bist doch einer der Jungen von den Marketendern?«
»Ja, Corporal. Das ist mein Gefangener.« Sie wedelte mit dem Säbel. »Begleiten Sie mich zum Hauptquartier. Er ist ein Offizier.« Zu Nikolaus gewandt fragte sie: »Sprechen Sie eigentlich Französisch?«
»Aber natürlich«, antwortete er mit grauenvollem Akzent.
»Man müsste noch dran arbeiten.«
»Dazu werde ich jetzt ja Zeit haben.«
»Stimmt!«
General Vandamme stand vor der Tür des Pfarrhauses und unterhielt sich mit dem Schreiber, als sich das Trüppchen näherte. Der Corporal machte seine Meldung, und einigermaßen erstaunt betrachtet der Kommandeur den kleingewachsenen Jungen mit dem Säbel in der Hand.
»Einen Gefangenen gemacht! Gute Leistung, Junge. Das wirst du mir näher berichten müssen.«
»Mit Verlaub, mon Général, er ist blessiert. Könnte der Chirurg ihn versorgen?«
»Sicher. Corporal, bringen Sie den Mann zu unserer Knochensäge. Ich kümmere mich später um ihn.«
In der guten Stube des Pfarrhauses befanden sich auch Colonel Renardet und ein weiterer Major. Ihnen mussten Toni nun das ganze Vorkommnis erzählen, aber es war Renardet, der die Begegnung in Lobenstein ergänzte.
»Erstaunlich, was für einen pfiffigen Burschen wir im Train mitführen«, stellte der General fest. »Wie alt bist du, Toni?«
»Dreizehn«, log sie munter.
»Du könntest später einmal einen guten Offizier abgeben.«
»Vielleicht. Aber ich bin nur ein einfacher Trossbub.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt. Für die Kadettenschule bist du noch nicht zu alt! Wir reden noch mal darüber.«
»Danke, mon Général!« Beinahe hätte Toni sich durch das aufsteigende Gelächter verraten, das sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Das wäre eine Karriere!
Sie war entlassen und schlenderte durch das Dorf Richtung Marketenderwagen.
Sie beschleunigte ihre Schritte, als sie die Schüsse hörte.
Sie rannte, als sie die Schreie hört – doch sie kam zu spät.
Die verlorenen Kinder
Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Kindertotenlieder, Rückert
»Ich
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