Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Wochen warten? Es strömt so viel auf Antonia ein, was sie verarbeiten muss. Sie muss sich sicher fühlen, in dem, was du ihr so einfühlsam beibringst, bevor sie ihre neuen Fähigkeiten an Fremden ausprobiert.«
»Aber Charlotte ist ganz gewiss nachsichtig mit ihr.«
»Mag sein, aber selbst die allerbesten Freundinnen, Liebste, neigen zum Klatsch. Es wäre betrüblich, wenn Antonia aus Nervosität ein Schnitzerchen passiert, und Charlotte anschließend ihren allerbesten Freundinnen davon berichtet. Oder gar deiner Base Elisa...«
Elena nahm Abstand davon, diese Idee zu verfolgen. Elisa Lindenborn hatte sie nicht in günstiger Erinnerung.
Johann trat in den Raum und überreichte dem Domherrn auf einem kleinen Tablett einige Briefe. Waldegg blätterte sie kurz durch, reichte seiner Frau zwei Billets, schob den Rest für später zusammen und öffnete mit ungeduldiger Hand einen dicken Umschlag.
»Von David, aus Berlin! Endlich!«, stieß er erleichtert aus und entfaltete sie Seiten.
Antonia konnte ihm den Inhalt des Schreibens fast am Gesicht ablesen. Ein freudiges Lächeln umspielte seine Lippen, ein leises »Dem Herrn sei Dank« entfleuchte ihm kurz darauf, dann aber verdüsterte sich seine Miene. Schließlich fingen seine Hände an zu zittern, und sein Gesicht wurde fahl. Stoßweise ging sein Atem, und dann presste er plötzlich wie vom Schmerz übermannt, die Faust gegen sein Herz.
»Herr Waldegg!« Antonia sprang auf. Der Domherr keuchte mit blauen Lippen. Elena sah auf und gab einen halb unterdrückten Schrei von sich. Dann griff sie zur Tischglocke und läutete sie schrill.
Antonia hatte schon in die Westentasche des nach Luft Ringenden gefasst und die Phiole hervorgezogen. Sie nahm den Stöpsel zwischen die Zähne, zog ihn heraus und schüttete den Inhalt in den Rest lauwarmen Tees in seiner Tasse. Diese hob sie an seine Lippen und bat: »Trinken Sie. Bitte.«
Mühsam, denn die Schmerzen wollten ihn schier überwältigen, trank Waldegg die wenigen Schlucke und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück.
Johann trat mit raschem Schritt in den Salon und beugte sich über den Domherrn.
»Sie haben ihm seine Medizin gegeben, Fräulein Antonia?«
»Ja, in einem Schluck Tee. Ich hoffe, das war richtig.«
»Sehr richtig. Wir müssen ihn hier auf das Kanapee betten. Sie sind sehr kräftig, gnädiges Fräulein, helfen Sie mir.«
Gemeinsam brachten sie Waldegg vorsichtig zu dem Liegemöbel und stopften ihm ein weiteres Polster in den Rücken, damit sein Oberkörper aufrecht blieb. Elena räumte währenddessen fahrig den Teetisch auf.
»Sie müssen Doktor Schmitz holen, Johann. Eilen Sie sich!«, wandte sie sich dann an den Diener.
»Ich werde mich zuerst einmal um den Herrn kümmern. Wir kennen diese Attacken doch, der Arzt kann im Augenblick auch nicht mehr machen.«
»Aber...«
»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau, es ist kein gravierender Anfall. Die junge Dame hat sehr umsichtig gehandelt.«
»Hat sie, Johann«, sagte der Domherr leise. »Es wird schon besser.«
Elena flatterte immer noch aufgeregt umher, nahm dies auf und jenes, rückte da etwas zurecht und schob hier etwas herum. Antonia nahm ihr eine der Porzellanfiguren ab, die sie auf dem Kaminsims stellen wollte. Milli, die alte Katze, wachte mit verwirrtem Blick auf und schlich sich von ihrem Lieblingsplatz am Kamin weg, um sich hinter dem Sofa zu verkriechen.
»Madame, Sie sind zu aufgeregt. Ich glaube, dem Domherrn wird es besser gehen, wenn es im Zimmer ruhiger wird.« Auch Jakoba war herbeigeeilt und trat auf die Dame des Hauses zu, die fahrig umherging und zitternd ausstieß: »Aber man muss ihm doch helfen!«
»Es ist alles Notwendige getan, er braucht nun Ruhe«, erklärte Johann, und Jakoba legte ihr besänftigend den Arm um die Taille.
»Es wird ihm geholfen. Nur Ruhe, Liebes, ganz ruhig.« Sie lotste sie mit sanfter Gewalt zum Ausgang und hielt ihr die Tür auf. »Und Sie brauchen ebenfalls Ruhe, Sie sind gerade erst genesen.«
Folgsam verließ Elena den Raum, und Antonia sammelte die heruntergefallenen Blätter auf. Sie wollte sich anschließen, aber Waldegg bat sie leise zu bleiben.
»Wenn es Sie nicht stört?«
»Nein, das tut es nicht. Kind, lies diesen Brief. Ich muss mit jemandem darüber sprechen.«
»Nun, wenn Sie es wünschen.« Sie las die eng beschriebenen Seiten, die mit einer kraftvollen, aber sehr klaren Handschrift bedeckt waren. Und sie verstand, was das heftige Herzflattern ausgelöst hatte.
»Das ist eine
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