Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
immer im Umfeld der Offiziere zu finden waren und sich früher bereitwillig um ihn drängten, um mit ihm zu flirten, war er nun Luft.
Als er Lavinias Salon aufsuchte, in dem man sich donnerstags zum Jour fixe traf, verstummten alle Gespräche. Immerhin hatte die Dame des Hauses ein Einsehen und geleitete ihn in ein Nebenzimmer. Sie hatte tröstende Worte, und ihr Rat war, er solle die Stadt bis auf Weiteres verlassen und Gras über die Angelegenheit wachsen lassen.
Sein letzter Besuch galt Isabetta. Hier fand er in ihrem Boudoir einen feschen Rittmeister vor, der ihn mit einem kalten Blick maß und dann übersah. Er verließ das Haus, ohne ein Wort mit seiner Mutter gesprochen zu haben.
Lange dachte er darüber nach, was er mit seinem Leben beginnen sollte. Er hoffte, die Anklage wegen Desertion möge fallen gelassen werden. Ein hoher Offizier aus Blüchers Corps hielt sich in der Stadt auf, und ihm hatte er eine Note geschickt, die dieser wohlwollend beantwortete. Aber die unehrenhafte Entlassung war nicht zu vermeiden. Er würde wieder Zivilist werden. Und das war hart. Seit seinem elften Lebensjahr spielte das Militär die wichtigste Rolle in seinem Leben. Nach seinen Regeln und Werten war er aufgewachsen, in diesen Kreisen hatte er seine Freunde gefunden, hatte seine Fähigkeiten entwickelt und ansehnliche Erfolge erzielt, obwohl seine Ausgangsbedingungen nicht glänzend waren. Und er hatte einen Freund gefunden – Nikolaus.
David nahm die Pistole in die Hand und strich über den schimmernden Lauf. Nikolaus aber war in England, und die Verbindung zu ihm nur schwierig herzustellen. Wenn er erführe, das er seinem Leben ein Ende gemacht hatte – würde er ihn der Feigheit bezichtigen? Oder es für das einzig ehrenvolle Verhalten ansehen? Er hatte es immer strenger mit den Vorschriften gehalten und die Traditionen geachtet. Das Argument der Ehre würde er gelten lassen.
Sein Vater dagegen nicht. Nein, Pastor Dettering sah diese Dinge anders. Ihm war das Leben heilig, und vermutlich würde er ihm auf seine pragmatische Art vorschlagen, er solle sich eine vernünftige Beschäftigung suchen, um diese dummen Gedanken loszuwerden.
Ein guter Rat, aber welcher Beschäftigung konnte er schon nachgehen? Er hatte sich in der Kadettenschule mit seinen Leistungen ausgezeichnet, weshalb man ihn mit sechzehn an der Ècole militaire aufgenommen hatte, wo er weitere fünf Jahre studierte. Dann war er als Fähnrich in das fünfunddreißigste Infanterieregiment übernommen und zwei Jahre später zum Leutnant befördert worden. Es war zwar eine beachtliche Karriere für einen jungen Außenseiter, aber leider befähigte ihn diese Ausbildung zu keiner anderen Tätigkeit als dem Kriegshandwerk. Die adligen Kameraden, denen Ähnliches wie ihm widerfahren waren und den Dienst verlassen mussten, konnten sich wenigstens auf ihre Güter zurückziehen. Er hatte eine solche Möglichkeit nicht.
Wieder betrachtete er die Pistole. Es gab nur deprimierende Aussichten. Eine Zeitlang von Berlin fortgehen – ja, das könnte er natürlich tun. Geld hatte er zur Verfügung, dank der Zuwendungen, die ihm sein leiblicher Vater quartalsweise schickte. Aber wohin? Zurück nach Köln? An die Tür klopfen und darum bitten, durchgefüttert zu werden? Waldegg würde es sicher tun, aber das war keine Lösung für einen Mann. Die Scham über sein Versagen war einfach zu groß. Es hatte ihm fast das Herz gebrochen, Waldegg von seiner Verfehlung zu berichten. Bislang hatte er diesen letzten Brief nicht beantwortet. Sonst war die Antwort immer postwendend eingetroffen, nun waren schon vier Wochen ohne Nachrichten aus Köln verstrichen. Wahrscheinlich würden auch keine mehr kommen.
Es würde seinen Vater tief bekümmern, wenn er diesen letzten Schritt ginge. Aber sicher nicht tiefer, als das, was er jetzt bereits an Bekümmernis verspürte. Er war immer so stolz auf seine Erfolge gewesen. Wegen eines unbedachten Moments, einer heftigen Gefühlsregung, hatte er alles zunichtegemacht.
»Verdammt!«, fluchte er leise vor sich hin. »Er hat es besser verdient.« David stand auf und ging durch das Zimmer. Auf einem Beistelltisch stand das Schachspiel aufgestellt, das er aus Köln mitgenommen hatte. Mit müßiger Hand warf er den schwarzen König um. Aber als er es betrachtete, fiel ihm Cornelius wieder ein, und seine Miene wurde noch düsterer. Cornelius war der große Held seiner Jungenzeit. Obwohl er sechs Jahre älter war, hatte er ihn nie als kleinen
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