Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
üble Sache, Herr Waldegg. Ich glaube zwar nicht, dass man den Leutnant wegen Desertion im Felde erschießt, denn er hat sich ja bei einer anderen Einheit gemeldet, aber kassieren werden sie bestimmt.«
»Bist du sicher, Kind? Sie werden ihn nicht zum Tode verurteilen?«
»Sicher? Ich habe die Preußen nicht kennengelernt. Aber auch da gelten bestimmt andere Regeln für die Offiziere als für die Soldaten. Abgesehen davon, Herr Waldegg – wenn man die Lage der Preußen so betrachtet – glauben Sie wirklich, die werden jeden einzelnen Verstoß gegen die Disziplin seit dem Desaster bei Jena und Auerstedt ahnden?«
»Vielleicht hast du Recht, Antonia. Hoffen wir es. Ich muss ein paar Briefe schreiben.« Er wollte sich aufsetzen, aber sie hielt ihn zurück.
»Die Post geht erst morgen. Jetzt ruhen Sie sich aus.«
Er lehnte sich zurück, aber seine Miene war besorgt. Milli kam auf leisen Sohlen aus ihrem Versteck hervor. Da es jetzt weniger hektisch im Raum zuging, war ihre Neugier erwacht. Sie saß maunzend neben der Lehne und sah zu dem Mann hoch, der da unter einer Decke lag. Da Antonia wusste, wie gerne er die Katze streichelte, hob sie sie hoch und setzte sie auf seinem Schoß ab. Sofort begann die Alte zu schnurren und rollte sich gemütlich zu einem Ring zusammen. Der Domherr legte seine Hand auf ihr Fell und kraulte sie sanft. Zufrieden sah Antonia ihm zu, und nach einer Weile fragte sie: »Möchten Sie mir etwas von Ihrem Sohn erzählen, Herr Waldegg? Ich habe ihn ja nur zweimal kurz getroffen. Er schien mir klug und sehr verlässlich seinem Freund gegenüber.« Mit einem winzigen Lächeln fügte sie hinzu: »Und ein bisschen übermütig und ziemlich listig.«
»So? Worauf gründet deine Einschätzung?« »Das erzähle ich Ihnen, wenn Sie mir zuvor von ihm berichten.
Irgendetwas, woran Sie sich gerne erinnern.«
»Du bist auch ein wenig listig, was?«
»Nur in ganz dringenden Fällen.«
»Also gut.« Er schloss für einen Moment die Augen und begann dann: »Er war ein bildschöner Knabe. Die schwarzen Locken und den dunklen Teint hat er von seiner Mutter geerbt. Isabetta war mütterlicherseits eine Paolucci.«
»Italienerin?«
»Richtig.«
»Die blauen Augen aber sind die Ihren.«
»Ich denke, ja. Eine aufregende Zusammenstellung, nicht wahr? Sie hat ihm als Kind einige Aufmerksamkeit beschert. Isabetta entzückte das mehr als ihn, und sie ließ sich gerne von ihm begleiten. Vor allem, wenn sie die Salons der Modistinnen und Putzmacherinnen besuchte. So seltsam es klingen mag, er hatte seinen Spaß daran. Er hat schon früh ein gutes Auge für Farben, ihre Zusammenstellung und Proportionen gezeigt, und die Frauen in den Läden zogen ihn gerne zu Rate. Aber lieber noch zeichnete er selbst. Ich entdeckte diese Neigung, als ich eines Nachmittags etwas zu früh bei ihnen eintraf. Da saß Jung-David doch tatsächlich über seinem Geometriebuch und löste nur so zum Spaß Aufgaben, die weit seinem schulischen Kenntnisstand voraus waren. Nicht nur das, er hatte diese Anforderungen an die Perspektive sogar in einigen Skizzen umgesetzt. Als ich ihn darauf ansprach, erzählte er mir, er habe diesen Nachmittag ziemlich gelangweilt aus dem Fenster der Schneiderin geschaut und die Lust verspürt, das Strebewerk des Doms nachzuzeichnen.«
»Strebewerk?«
»Das sind die Stützpfeiler und Bogen, die die Außenwände der Kathedrale halten. Diese Wände sind zu hoch, um alleine stabil stehen zu können.«
»Ah ja, ich verstehe. Sie sehen sehr kompliziert aus.«
»Wenn man weiß, nach welchem Prinzip sie errichtet sind, ist es sehr einfach. David hatte dieses Prinzip klar erkannt und aus verschiedenen Gesichtswinkeln dargestellt.«
»Also stimmt es, er ist sehr klug.«
»Ja, das ist er, Antonia. Ich hätte seine Begabung gerne weiter gefördert. Ich habe mich lange mit ihm darüber unterhalten, an jenem Nachmittag. Damals vertraute er mir an, er wolle später einmal Baumeister werden.«
»Aber nun ist er Offizier.«
»Ja, nun ist er Offizier und in Schwierigkeiten. Ich habe ihn vor Jahren im Stich gelassen, Antonia. Ich habe nicht sehr viel anders gehandelt als deine Mutter.«
»Ich finde nicht, nein. Sie haben sich doch für seine Fähigkeiten interessiert.«
»Ich habe ihn mit Isabetta gehen lassen. Wahrscheinlich hätte ich um ihn kämpfen müssen. Aber Isabetta war nicht glücklich mit mir. Sie wollte, als sie den ungestümen Jahren entwachsen war, eine ehrbare Ehefrau sein. Das konnte ich ihr, weil
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