Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
wohnte ich bei ihr. Du bist in ihrem Haus, in ihrem Bett zur Welt gekommen. Es musste alles in großer Heimlichkeit geschehen, und drei Tage später war ich wieder im Kloster. Dort wurde ich sehr krank, ein Nervenfieber, glaubte man, und aus dieser schrecklichen Zeit half mir erst Milli wieder heraus.« Die Hand, die über das Fell der schwarzweißen Katze strich, zitterte leicht, und Antonia bemerkte, wie sehr Elena um Fassung rang.
»Milli hat ein gutes Leben bei Ihnen gehabt, Madame.«
»Sie hatte es, obwohl sie anfangs nicht so sehr meine Katze war. Im Kloster nahm sie ihre Aufgabe als Küchenkatze sehr ernst. Jakoba überzeugte Mutter Ottilia davon, sie würde die Mäuse von den Vorräten fernhalten. Dann, als die Franzosen kamen, verließen die meisten Nonnen voller Panik die Stadt. Wir hatten furchtbare Gerüchte von Plünderungen und Schändungen gehört. Ich blieb, zusammen mit drei alten Schwestern, die zu gebrechlich für eine lange Reise waren. Jakoba sorgte für uns. Die Franzosen verhielten sich übrigens sehr korrekt. Mich erschütterte weit mehr die Meldung, die Stadtsoldaten hätten Köln verlassen, und Elisabeth sei als Marketenderin mit ihnen gezogen. Sie ließ mir noch durch Jakoba Abschiedsgrüße ausrichten. Damit verlor ich dich vollends.«
Antonia war es bisher nicht gelungen, den Bezug zwischen dem Kind, das Elena verloren hatte, und sich selbst herzustellen. Aber sie verstand Verlust und Trauer, und in einer spontanen Geste legte sie ihrer Mutter einen Arm um die Schulter. »Es ist lange her.«
»Ja, es ist lange her. Milli ist tot, und du bist hier. Ich fühle mich wie ausgehöhlt.«
»Wir wollen Milli in ein schönes Tuch wickeln und morgen im Garten begraben. Sie hat doch bestimmt einen Platz gehabt, an dem sie gerne war?«
»Ja, ja, den hatte sie. Danke, Toni.« Elena drückte leicht Antonias Hand und stand dann auf. »Ich hole ein Tuch.«
Sie wickelten die alte Katze in einen Seidenschal und legten sie in ihren Korb. Dann löschten sie die Lichter aus und gingen gemeinsam die Treppen hoch. Vor der Schlafzimmertür blieb Elena noch einmal stehen und hob die Hand, um Antonia zögernd über die Wange zu streichen.
»Gute Nacht, Toni.«
»Gute Nacht, Frau Mutter«, wünschte Antonia ihr leise. Dann floh sie in ihr Zimmer.
Lange verfolgte sie das Erlebte der letzten Stunden, und kurz bevor sie einschlief, zuckte wie ein plötzliches Wetterleuchten die Frage durch das schwere Gewölk ihrer Gedanken: »Wer mag wohl mein leiblicher Vater sein?«
Böhmischer Bilderbogen
Wenn es beginnt zu tagen,
die Erde dampft und blinkt,
die Vögel lustig schlagen,
dass dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
das trübe Erdenleid,
da sollst du auferstehen
in junger Herrlichkeit.
Abschied, Eichendorff
Seit einem Monat war David unterwegs. Er reiste mit leichtem Gepäck. Derbe Stiefel an den Füßen, ein weites Leinenhemd mit Umschlagkragen, Lederhosen und ein schlichter, knielanger Rock waren seine Kleidung, im Tornister hatte er Wäsche zum Wechseln, ein leeres Tagebuch und Stifte, sowie den neuen Reiseführer durch die sächsische Schweiz von Pfarrer Nikolai und einen schmalen Gedichtband. Sein Geld trug er in einem dünnen Ledergürtel um den Leib. Gleich nach der Urteilsverkündung war er aufgebrochen, war von Berlin aus nach Süden gewandert, zunächst ohne jedes Ziel. Seine Wohnung hatte er gekündigt, seine Habseligkeiten bei Detterings untergestellt und sich sonst von niemandem verabschiedet.
Der lange Brief, den er in der beklemmendsten Nacht seines Lebens geschrieben hatte, war zu kleinen Fetzen zerrissen worden und im Kamin zu Asche verbrannt.
Man hatte die Anklage wegen Desertion und Feigheit vor dem Feind fallengelassen. Zwei Offiziere aus Blüchers Stab hatten für ihn gesprochen, und auch der General a.D. von Ebra, Nikolaus’ Großvater, hatte seinen Einfluss geltend gemacht. Doch seines Offizierspatents war er verlustig gegangen. Unehrenhafte Entlassung aus dem Militärdienst lautete das Urteil. Mit stoischer Miene hatte er es entgegengenommen, seinen Säbel abgelegt und anschließend die Uniform fortgepackt. Wegwerfen konnte er sie nicht. Genauso wenig aber konnte er in Berlin bleiben. Lavinias Rat zu befolgen, schien ihm die sinnvollste Möglichkeit, erst einmal wieder zu sich selbst zu finden.
Die ersten Tage war er unablässig marschiert, alleine, seinen trüben Gedanken nachhängend. Er hatte wenig von der Landschaft mitbekommen, die er
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