Kreuzigers Tod
wirklich sicher zu sein. Schauen Sie, da sieht man Sie sogar in Ihrem Bett liegen, in vol-ler Montur, und daneben auf dem Boden steht eine leere Schnapsflasche. Mein Gott, und so einer will in der Polizei dienen! Sie haben schon recht, Ihr Privatleben geht mich nichts an, und ich dürfte in der Tat keine Hausdurchsuchung veranlassen, um mir Ihre privaten Verhältnisse anzuschauen. Aber ich durfte eine Hausdurchsuchung gegen Sie veranlassen, um einem gegen Sie bestehenden Verdacht auf generelle Unzuverlässigkeit auf den Grund zu gehen. Nun hat sich dieser Verdacht nicht bestätigt, aber der Einblick in Ihr Privatleben, den wir gewissermaßen widerwillig tun mussten, hat Erkenntnisse hinsichtlich Ihrer Persönlichkeit zutage gefördert, die zu ignorieren wir nicht verpflichtet sind, im Gegenteil. Da wir ja mit Ihnen zusammenarbeiten müssen, geht es uns schon etwas an, was für ein Mensch Sie sind und wie Sie wohnen, wie Sie hausen, besser gesagt. Es ist unglaublich, schauen Sie, das Bett, in dem Sie schlafen, steht in einem Meer aus Abfall, leeren Gläsern, leeren Flaschen, herumliegenden Kleidungsstücken. Sedimentweise schichten sich seit Jahren Schmutz und Unordnung übereinander. Haben Sie denn jemals in diesem Haus aufgeräumt?«
»Ich hatte doch nie Grund anzunehmen, dass ich hier länger als nur vorübergehend stationiert bleibe.«
»Soll das vielleicht heißen, dass wir an diesem Desaster schuld sind? Was Ihnen fehlt, mein Lieber, ist die Entschlossenheit, mit Ihrem Schicksal zu Rande zu kommen und das Beste daraus zu machen. Wenn Sie sich damit begnügen wollen, uns die Schuld an Ihrem Unglück zu geben, machen Sie einen großen Fehler, weil uns, im Vertrauen gesagt, Ihr Unglück vollkommen gleichgültig ist. Das Unglück ist nun einmal wirklicheine Privatsache, in die dem Unglücklichen keine Ordnungsmacht je hineinpfuschen wird.«
Er blätterte kopfschüttelnd in den Fotos.
»Gestaltungsfreiheit! Privatinitiative! Bürgerliche Autonomie!«, rief er aus, indem er mir einzelne Abzüge unter die Nase hielt. »Und halten Sie doch wenigstens den Wald sauber. Was haben Sie denn da für eine Proviantbüchse aufgehoben und wieder weggeschmissen.«
Der Engel bückte sich danach und reichte sie Gschnitzer.
»Hmmm.« Gschnitzer nahm sie in die Hand und öffnete sie.
»Wurstsemmeln, und da ein Namenszug. >Kreuziger.< Die Sache nimmt ja wirklich Konturen an, schön langsam. Offenbar hat ihm seine Frau diesen Proviant in den Wald gebracht und ihn dann ermordet.« An Engel gerichtet fuhr er fort: »Das ist typisch. Der ungeübte Mörder, der aus einer bloßen Leidenschaft heraus agiert, verliert nach seiner Tat den Kopf, wird hektisch und macht haarsträubende Fehler. In diesem Fall wollte Frau Kreuziger diese Proviantbüchse, die ihr Erscheinen am Tatort beweist, aus der Welt schaffen, und sie tat es auf eine so ungeschickte Weise, dass sogar unser Freund sie finden konnte.«
Der Engel nickte eifrig, schaute mich an und lächelte.
»Entschuldigen Sie, Herr Dr. Gschnitzer«, sagte ich vorsichtig. »Inwiefern beweist denn diese Büchse tatsächlich, dass Frau Kreuziger am Tatort war? Wir wissen doch nicht, ob sie es war, die ihrem Mann die Jause in den Wald brachte. Vielleicht hat er sie selbst mitgenommen, und irgendwie, ohne dass wir das nachvollziehen können, ist die Dose dann hier gelandet. Zum
Beispiel weil jemand sie am Tatort gefunden und dann wieder weggeworfen hat?«
»Was für eine unnötige und dumme Frage! Wer käme auf den Gedanken, eine solche Dose mit Proviant, nachdem er sie gefunden hat, einfach wieder wegzuwerfen, ohne die Wustsemmeln zu essen, die man sogar jetzt noch essen könnte? Wer hat ein Interesse daran, dass die Dose vom Tatort verschwindet? Doch nur, wer davon einen Nachteil zu erwarten hat. Und wer hat in der Sache Kreuziger einen Nachteil zu befürchten? Die Mörderin. Und was hat eine Mörderin von einem Beweisstück zu befürchten? Dass es aussagt, dass sie zum Zeitpunkt der Tat am Tatort gewesen ist, verstehen Sie? Ein Beweismittel, wenn ich Ihnen das aus langjähriger kriminalistischer Erfahrung mitteilen darf, sagt uns niemals etwas von sich aus, weil Objekte unbelebt sind und nicht sprechen können, sie können nur von unseren Gedanken zum Sprechen gebracht werden. Noch Fragen?«
Ich schüttelte gar nicht erst den Kopf, denn er fuhr schon fort.
»Nun gut, dann passen Sie auf. Wir werden Sie jetzt in eine Polizeiaktion einbinden. Ich hatte vorhin gesagt, dass keinerlei
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