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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Oberdorfer
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diesem Moment aus dem Fluss der Zeit herausgenommen schien und zu einem Bild gefror.
    »Was hat sie?«
    »Sie hat gesagt, dass nicht sie die Leiche gefunden hat und dass ihre ganze Aussage gelogen war.«
    »Aber warum kann sie gelogen haben?«, fragte sie und sie spielte sehr gut. Es schien, dass sie ihre Verblüffung über das Geständnis der Mühlbacherin in diese Frage hineinlegte.
    »Das fragst du mich?«
    »Du musst es wissen, du führst doch die Ermittlungen.«
    »Und ob ich es weiß.«
    »Also?«
    Ich sagte gar nichts und senkte meinen Blick. Ich legte diese Pause ein, um ihre Schauspielerei auf die Probe zu stellen. Dann schaute ich wieder auf und suchte ihre Augen. Sie wich meinem Blick, den ich tief, tief in siehineinlaufen ließ, nicht aus, aber ihre Augen wurden starr.
    »Bitte«, sagte ich.
    »Was?« fragte sie. »Willst du noch ein Glas?«
    »Nein. Die Mühlbacherin hat nach einem langen und mühevollen Verhör zugegeben, dass ihre ganze ursprüngliche Aussage erlogen war. Dass sie die Leiche gar nicht gefunden hat. Als sie zum Tatort kam, sei da schon der Mannlechner gestanden und habe gezeichnet.«
    »So«, sagte sie nur.
    »Also bin ich zum Mannlechner gefahren und habe auch ihn noch einmal verhört und ihn mit der Aussage der Mühlbacherin konfrontiert.«
    »Aber jetzt erklär mir doch endlich, was mich das angeht.«
    »Muss ich dir das lange erklären? Mannlechner hat gesagt, dass auch er die Leiche nicht entdeckt hat. Er hat den Mord vielmehr beobachtet. - Er hat dich gesehen, Anna.« XI.
    Mir war nichts Besseres eingefallen, als zu bluffen. Und ich erwischte sie genau richtig. Ihr Gesicht wurde blass. Sie schien fieberhaft in ihrem Kopf Ausfluchtmöglichkeiten durchzugehen, zu prüfen, zu verwerfen, bis sie aufgab. Sie lächelte nachdenklich und schüttelte den Kopf, als sei ihr ein Versehen unterlaufen.
    »Was sagst du dazu, Anna?«
    »Muss ich etwas dazu sagen? Warum muss ich etwas dazu sagen, kannst du mir das erklären, du stehst doch auf meiner Seite, oder?«
    »Sag, dass es nicht stimmt.«
    Die Widerspenstigkeit schien ihr wichtiger als die Beteuerung ihrer Unschuld. Sie verschränkte die Arme und sagte kühl: »Es stimmt.«
    »Was?«
    Sie sagte nichts. Ich muss gestehen, dass ich in diesem Moment eine große, ja geradezu unendliche Befriedigung empfand. Das, was ich von Anfang an nicht für möglich gehalten hatte, schien wirklich geworden: Ich hatte den Mordfall geklärt. Ein großes Wärmegefühl überkam mich. Für diesen Moment meines Triumphs vergaß ich alles um mich herum und verlor auch jegliches Interesse an Anna.
    »Ja, es stimmt«, wiederholte sie. »Es stimmt. Es stimmt. Es stimmt. Ich hab's getan. Unglaublich, nicht?
    Seit Franz tot ist, versuche ich mir klarzumachen, dass ich es gewesen bin, die ihn getötet hat, und kann es doch nicht glauben. Obwohl ich es war, scheint mir, als war er in erster Linie eines natürlichen Todes gestorben, als wär mein Anteil an seinem Tod unbedeutend gewesen, und doch war ich es, die ihn umgebracht hat. Kannst du das glauben?«
    »So wie es aussieht, muss ich es glauben.«
    Anders als erwartet, verspürte ich kein Mitleid, mein Interesse daran, ihren Redefluss und ihre Offenheit auszunutzen, um die Sache restlos aufzuklären, war stärker. Ich musste behutsam vorgehen und so tun, als würde ich ihr Geständnis aus freundschaftlichen Gründen nicht verwerten. Davon schien sie nämlich auszugehen.
    »Aber warum, warum hast du es getan?«
    »Da gibt es kein Warum. Man fragt >Warum< und schon sieht es so aus, als gäbe es einen Grund, den man nur noch nicht kennt. Aber diese Fragen gehen ins Leere.«
    Sie schien nach weiteren Worten zu suchen. Dabei wurde ihr Gesicht sehr schön, die Züge klärten sich. Ich schwieg.
    »Es ist eine lange Geschichte, eigentlich ist es eine sehr lange Geschichte«, sagte sie dann.
    »Erzähl, Anna, erzähl, so lange du willst.«
    Ich schenkte mir Schnaps ein und lehnte mich zurück.
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. - Ich muss bis zu meiner Geburt zurückgehen. Ich wurde im Krieg geboren und habe meinen Vater nie gesehen. Ich weiß auch nichts von meinem Vater, fast nichts. Aus irgendeinem Grund haben sich über ihn keine Geschichten er-halten. Das ist eigentlich sonderbar, nicht? Fast möchte man sagen: kein gutes Zeichen. Natürlich hatte man keine Zeit für mich. Mein Vater galt zunächst als ver- misst, dann als gefallen, dann kam plötzlich wieder Nachricht von ihm, wonach er in russischer

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