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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiber
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lassen. Mit weit ausholenden Schritten durchquerte sie den Raum, baute sich vor ihrem Chef auf und holte aus.
    Gerade in diesem Moment betrat Katy den kleinen Übungsraum. Sie hatte die T-Shirt-Aktion noch mitbekommen und zuckte jetzt unwillkürlich zusammen, als die Hand von Frau Hörnig auf der Wange ihres Vaters landete.
    »Guten Abend zusammen, na hier ist ja mal richtig was los«, rief sie.
    Kommentarlos und mit hochrotem Kopf stapfte die Sekretärin an ihr vorbei, schnappte sich ihren Mantel und verschwand im Flur. Das Letzte, was Katy von ihr sah, war ein breiter roter Streifen, der vertikal mittig auf dem hellen Rock verlief.
    Die Stimmung anschließend hätte kaum ausgelassener sein können. Endlich konnte die Musik auf Tanzlautstärke gedreht werden, einige Freunde und ältere Studenten tauchten unvermutet auf, und die Veranstaltung entwickelte sich fast zur Party. Katy kannte einige der älteren Doktoranden und wurde gleich zum Tanzen aufgefordert. Henno warf Anja einen Blick zu.
    »Was mache ich jetzt mit Ihnen? Haben Sie noch etwas zum Wechseln hier?«
    »Ist schon okay. Sie haben es doch fast alles wieder weggetupft.« Anja lächelte ihn an.
    Henno war schon zu betrunken, um sich Gedanken darüber zu machen, ob sein Verhalten peinlich oder gar unangemessen war.
    »Das würde ich jederzeit wieder für Sie machen.«
    »Ach ja?« Anja hob ihre Arme und fuhr langsam mit beiden Händen durch ihre langen dunklen Haare, als wolle sie sie zu einem Pferdeschwanz zusammenfassen. Allenstein konnte den Blick nicht von dem großen länglichen Fleck auf ihrer Brust wenden. Unter dem dünnen, feuchten Baumwollstoff zeichneten sich ihre Brüste gut sichtbar ab. In diesem Moment ertönte aus dem Lautsprecher der Sommerhit des Jahres. Anja sprang auf.
    »Können Sie so etwas noch tanzen?«
    »Aber holla!«
    Allenstein stürmte in die Mitte der von Tischen und Stühlen befreiten Raummitte zu den anderen und zappelte los. Die Meute quittierte es mit johlendem Beifall. Anja folgte ihm. Ihre Art, sich nach der Musik zu bewegen, ernüchterte Henno ein wenig. Da konnte er nicht mehr mithalten.
    »Kommt denn auch mal etwas Langsameres?«, fragte er keuchend nach der dritten Discomusik.
    Anja ging zur Anlage und legte eine neue CD ein.
    Schon bei den ersten Takten des Stücks erstarrte Henno. Es war die irische Gruppe Them mit »It’s all over now baby blue«. Das Stück, bei dem er Helga das erste Mal in den Arm genommen hatte.
    Anja sah ihm kurz in die Augen, zog ihn an sich und drückte das immer noch feuchte T-Shirt an seine Brust.
    Katy hatte ihren Tanzpartner auf Distanz gehalten. Immer wieder blickte sie zu ihrem Vater, der mehr und mehr in der Musik und Anja zu versinken drohte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Doktoranden trotz ihres Alkoholpegels vielsagende Blicke untereinander wechselten.
    Das nächste Stück begann. Es war »Hey Joe« von Jimi Hendrix.
    Katy hatte genug. Sie trat zu dem eng umschlungenen Paar und legte ihrem Vater die Hand auf die Schulter.
    »Komm, lass uns fahren. Ich bin hundemüde.«
    Anja warf ihr einen halb giftigen, halb unsicheren Blick zu.
    Henno blickte seine Tochter an. Er sah sofort, dass Widerstand jetzt zwecklos war.
    Die Fahrt verlief schweigend. Erst als Katy ihren Vater zu Hause abgeliefert und sich und ihm einen Orangensaft aus dem Kühlschrank geholt hatte, legte sie los.
    »Das ist doch nicht dein Ernst.«
    »Ich vermute, du meinst Anja.«
    »Völlig richtig. Ich kann mir ja vieles erklären, aber das nicht.«
    »Du erinnerst mich an deine Mutter. Ich habe jetzt keine Lust, mit meiner Tochter über Frauen zu diskutieren, die mich interessieren.«
    »Paps, das ist nicht irgendeine Frau, die dich interessiert, das ist deine Assistentin. Sie ist von dir abhängig, weil ihr zusammen arbeitet und du ihr Chef bist. Die nutzt das doch nur aus. Diese jungen Frauen suchen Selbstbestätigung. Du darfst dich auf so etwas nicht einlassen.«
    Henno sah sie gedankenverloren an. »Wie alt bist du eigentlich jetzt?«, fragte er nachdenklich.
    »Paps! Ich bin so alt wie deine Assistentin.«
    Henno saß zusammengesunken auf dem Barhocker an der Küchentheke und blickte seine Tochter an.
    Nach einer langen Minute stand er auf.
    »Entschuldigung. Ich glaube, ich gehe jetzt besser ins Bett.«

| 11 |
    In den folgenden Tagen wurden die Gebäudereste vorsichtig abgetragen. Eine weitere Leiche wurde nicht gefunden.
    Es war wieder milder geworden. Warme Luftmassen aus Südwest hatten

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