Kreuzstein
Allenstein bis jetzt die Kapuze übergezogen hatte. Oder an seinem buschigen Haar, das bis auf die Ohren reichte und an den Schläfen bereits in professorales Grau überging.
»Aber Sie haben recht«, fuhr er fort. »Schauen Sie, die gesamte Abbruchfläche ist mit einem braunen Lehm überzogen. Der saß schon vorher in der Spalte. Kein Wunder, dass die Wand abgegangen ist. Es gab überhaupt keinen Halt mehr zum Gestein dahinter.«
Allenstein bückte sich und wischte mit dem Finger über die oberste Kante der Abbruchfläche. Dann zog er eine kleine Lupe aus der Tasche und studierte intensiv die winzigen Klümpchen auf seinen Fingern.
»Was haben Sie da?«, fragte die Kommissarin neugierig.
»Einen Augenblick noch.« Allenstein schaute sich um und ging zu dem mittleren Erdhaufen am Rand der Steinfläche. Erneut bückte er sich, nahm etwas Erde und legte sie auf den Handteller seiner linken Hand. Während er mit zwei Fingern die Lupe zwischen Auge und Hand hielt, schob er mit dem Ringfinger die Bodenteilchen auseinander.
»Wir müssen von so vielen Stellen der Abbruchfläche wie möglich Proben nehmen, bevor der Schneeregen alles abgewaschen hat.«
»Vielleicht erklären Sie mir ja erst einmal, was Sie da überhaupt tun«, murrte die Kommissarin.
Allenstein schaute sie ernst an. »Nun, es ist schon merkwürdig. Wir stehen hier auf nacktem Basalt, von dem der Erdboden abgeräumt wurde, damit man ihn abbauen konnte, ohne dass er verdreckte. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen. Die Erde ist sicher irgendwo dort hinten auf einen Haufen geworfen worden. Sie besteht unter anderem aus kleinen Bimsen, die vom Vulkanausbruch am Laacher See vor 13 000 Jahren stammen.«
Allenstein hielt Gabriele Kronberg zwei kleine verschmierte Krümelchen hin. »Wenn Sie mit der Lupe schauen, sehen Sie so ein poröses graues Körnchen, das allerdings stark verschmiert ist.«
»Hm!«, brummte sie. »Und was lerne ich daraus?«
»Die Spalten können sich erst in den letzten Jahren geöffnet haben, lange nachdem der Abbau eingestellt wurde. Der Boden war zu dieser Zeit hier oben aber schon abgetragen und konnte nicht mehr eingeschwemmt werden.«
»Also muss jemand nachgeholfen haben? Vielleicht um den Riss zu verschleiern?«
»Es ist zumindest nicht auszuschließen.«
Kronberg zog ihr Handy aus der Tasche, um die Spurensicherung zu instruieren.
»Es gibt übrigens noch einen Zugang von der hinteren Seite. Man kann dichter heranfahren und ist schon fast auf der Höhe.«
»Jetzt wo Sie es sagen, fällt es mir auch wieder ein. Dann hätten wir uns den mühsamen Aufstieg vorhin ja ersparen können.«
Kurz entschlossen rief sie Weller an, damit er sie möglichst schnell von der anderen Seite abholte.
»Die Leute werden begeistert sein, wenn sie da unten an der Wand den Dreck abkratzen dürfen. Leider können wir hier oben nichts mehr machen. Erst muss der Schnee abtauen.«
Langsam stapften sie durch den frischen Schnee bis zum Weg auf der anderen Seite der Bergkuppe. Es dauerte eine Weile, bis Weller den Zugang gefunden hatte. Er stand vor der verschlossenen Schranke der ehemaligen Steinbruchzufahrt. Langsam kam er ihnen einige Schritte entgegen.
»Wir haben einen weiteren Toten gefunden, einen etwa 35-jährigen Mann«, empfing er seine Chefin unterkühlt. »In den Resten des zweiten Gebäudes. Ein Schwarzer, den Papieren nach ein Nigerianer. Wir müssen seine Identität noch überprüfen.«
Kronbergs Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig, und sie demonstrierte, wie professionell sie mit solchen Nachrichten umging. »Auch das noch. Können Sie mich vertreten? Ich muss mich dringend umziehen.«
Weller blickte auf ihre verdreckte Hose, auf der sich die Abdrücke von Allensteins Händen deutlich abzeichneten, aber er verkniff sich eine ironische Bemerkung. Nach dieser Nachricht war ihm nicht mehr nach Scherzen zumute.
»Ja, so können Sie wohl nicht mitkommen.«
| 9 |
Abseits hinter der Aufbereitungsanlage für die gebrochenen Hartgesteine lag der Bunker, in dem der Sprengstoff gelagert wurde. Nachts um 3.00 Uhr war niemand mehr im Steinbruchbetrieb. Weitab im Sauerland, auf einer großen bewaldeten Bergkuppe, gab es noch das Gestein, das immer schwieriger zu gewinnen war. Keiner wollte mehr in seiner Nachbarschaft einen Steinbruch haben, viele Stellen waren inzwischen für den Abbau tabu, weil sie in Naturschutzgebieten oder zu dicht an den Dörfern lagen. Diabas, ein vor 300 Millionen Jahren in die obersten
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