Kreuzstein
den ersten Wintereinbruch Ende November schnell zunichte gemacht und die letzten Schneeflecken weggetaut.
Gabriele Kronberg stand ein wenig unschlüssig an der untersten Absperrung zu den verschütteten Häusern und wartete auf Allenstein.
»Ich wollte noch einmal mit Ihnen sprechen«, empfing sie ihn, als er aus dem Auto stieg. »Vielleicht können Sie bei diesen Witterungsverhältnissen mehr erkennen.«
»Gibt es denn etwas Neues?«
»Kommen Sie am besten gleich mit.«
Heute hatte sie leichte Bergstiefel an, die noch sehr neu aussahen. Sie führte Allenstein durch die Absperrung und steuerte den Rand des Steinbruches an, auf dem es wieder nach oben ging.
»Diesmal werden Sie mich nicht anschieben müssen!«, sagte sie über die Schulter zu ihm.
Allenstein war tief in Gedanken versunken und ignorierte ihre Bemerkung.
»Hat es noch mehr Opfer gegeben?«
»Nein, das große Haus war zum Glück unbewohnt. Jugendgruppen waren schon längere Zeit nicht mehr darin. Nur der Nigerianer hat sich dort wohl seit einiger Zeit immer mal wieder aufgehalten.«
»Und was ist mit dem Hausmeister?«
»Der wohnte schon seit Jahrzehnten dort und hat zum Schluss noch als Rentner für die Kommune die Gebäude beaufsichtigt.«
»Gibt es irgendetwas Verdächtiges bei der Sache?«
»Das werden wir sehen. Wir müssen jedenfalls ganz sicher wissen, ob der Abbruch eine natürliche Ursache hatte.«
Inzwischen waren sie auf der Kuppe angekommen. Diesmal ohne Ausrutscher, aber wieder etwas aus der Puste.
»Ich wollte Ihnen zeigen, was wir heute Morgen in der Erde gefunden haben.«
Sie gingen ein paar Schritte bis zu einem größeren Erdhaufen. Die Spurensicherung hatte von der Oberfläche die Erde abgetragen und nach weiteren Bimssteinchen durchsiebt. Die groben Steinbruchstücke lagen auf einem kleinen Haufen neben der durchsiebten Erde.
»Sehen Sie sich das an.«
Allenstein nahm eine Hand voll Steinchen und musterte sie mit seiner Lupe. Dann schaute er sich um und ging ein Stück in Richtung des Steinbruches. Der Himmel war diesmal geringer bewölkt, und die Luft war klar. Die Fernsicht ins Siebengebirge und über den Rhein in die Eifel war beeindruckend.
»Mesolithikum!«
»Wie bitte? Ist es wieder Ihr Ohr?«
»Mesolithikum, Mittelsteinzeit. In dem Siebgut sind Abschläge, also Splitter von Feuerstein. Sehr wahrscheinlich Mittelsteinzeit, vielleicht auch Jungsteinzeit. Hier, sehen Sie, ein Bruchstück einer Klinge.«
Er hielt der Kommissarin einen Splitter und die Lupe entgegen.
»An der Art der Bearbeitung kann man das Alter grob einschätzen.«
Kronberg hantierte umständlich mit der Lupe herum und versuchte die Erklärungen nachzuvollziehen.
»Feuerstein kenne ich. Damit haben wir als Kinder immer versucht, Funken zu schlagen, um etwas anzuzünden. Hat aber nie geklappt.«
»Das kenne ich. Ich habe mir eher die Finger aufgeschlagen, als auch nur den kleinsten Funken zu entzünden. Heute weiß ich auch, warum. Man braucht nämlich noch Pyrit dazu, ein Eisenschwefelmineral. Damit geht es wirklich.«
»Gut zu wissen. Aber wie kommt der Feuerstein hierher?«
»Schauen Sie sich um. Das ist einer der besten Plätze, um die Landschaft zu beobachten. Versetzen Sie sich doch mal ans Ende der Eiszeit. Die ersten Sträucher, später Bäume in den flachen Talmulden, man konnte sofort sehen, wo sich Tiere bewegten. Und das bis in die Niederrheinische Bucht hinein. Und wenn nichts los war, wurden Feuersteine zu Werkzeugen verarbeitet.«
»Ach, deswegen die vielen Abschläge. Meine Laborleute haben mir erzählt, sie hätten in allen Lehmproben von der steilen Abbruchfläche Reste von Quarzmaterial gefunden. Ist das das gleiche?«
»Feuerstein ist ein ganz wenig kristallisiertes Siliziumdioxid, es heißt wissenschaftlich Chalcedon. Wenn die Kristalle etwas größer werden, sagt man auch Quarz.«
»Den kenne ich.«
»Das bedeutet auf jeden Fall, dass das Material von dem Erdhaufen dort hinten in die Spalte gefüllt wurde. Wie sollten sonst die Feuersteinabschläge dort hinkommen«, sagte Allenstein nachdenklich.
»Ja, so könnte man es sehen. Ist es vielleicht möglich, dass dieser Platz hier nicht nur in der Steinzeit eine Bedeutung hatte, sondern bis in die heutige Zeit so etwas wie ein Versammlungsort ist?«
»Sie meinen, so eine Art Thing-Platz?«
»Ja, so etwas.«
»Dafür liegt er eigentlich zu weit abseits vom Rhein, aber wer weiß. So gut kenne ich mich damit nicht aus. Wie kommen Sie darauf?«
»Kommen Sie mal
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