Kreuzstein
gehen.«
»Danke. Ich komme auch so zurecht. Und was ist jetzt mit dem jungen Mädchen, das Selbstmord begangen hat?«
»Den Fall müssen wir wohl neu aufrollen. Die Fasern an dem Stein stammten von ihrer Jacke. Und der Stein lag so weit weg von der Toten an der Seite, dass wir durchaus ein Verbrechen in Erwägung ziehen müssen.«
»Es könnte natürlich auch sein, dass der Stein schon vorher im Bruch lag, sie ist darauf gestürzt, und viel später hat jemand den Stein an eine andere Stelle gelegt.«
»Das wäre theoretisch eine Möglichkeit. Aber aufgrund der neuen Sachverhalte werden wir auf jeden Fall ganz neu ansetzen.«
»Glauben Sie, dass es einen Zusammenhang mit der Sprengung gibt?«
»Ich glaube grundsätzlich nichts. Für mich steht immer die Untersuchung im Vordergrund. Aber ich melde mich bei Ihnen, wenn ich noch Fragen zu geologischen Zusammenhängen habe.«
Henno Allenstein legte den Hörer auf. Er hatte mit dem linken, ungewohnten Ohr telefoniert. Das Pfeifen in seinem rechten Ohr hatte in den letzten Tagen durch die Erkältung wieder zugenommen und war noch nicht verschwunden. Es machte ihn unkonzentriert und müde. Erst am Morgen hatte es sich wieder verstärkt. Vielleicht sollte ich doch einmal zum Arzt gehen, dachte er. Da erst bemerkte er, dass seine Sekretärin im Zimmer stand. Sie hielt mit beiden Händen ein Paket an den Bauch gedrückt.
»Für Sie. Ohne Absender, aber ziemlich schwer.«
»Merkwürdig.« Allenstein fiel das Paket von vor zwei Wochen wieder ein.
Während sie gemeinsam den Inhalt freilegten, gesellten sich zwei Doktoranden dazu, die die offene Tür nutzten, um fällige Termine mit ihrem Chef abzusprechen. Ihnen folgte Anja mit einem Stapel Klausuren, den sie schwungvoll auf Allensteins Schreibtisch fallen ließ.
Zu fünft beäugten sie das Gestein, das ihr Chef von allen Seiten musterte. Es war erneut ein Bruchstück von einem Werkstein.
Allenstein holte eine große Lupe aus dem Schreibtisch und untersuchte den Stein genauer.
»Da zerschlägt wohl jemand Wegkreuze«, murmelte er vor sich hin. Er reichte das Gesteinsstück und die Lupe an die Doktoranden weiter.
»Sandstein«, nickten die beiden sich zu.
»Das ist ein Sandstein mit einer kleinen Ecke einer herausgemeißelten Figur. Vielleicht Berrias, Unterkreide aus Oberkirchen«, erklärte Anja, als ihr das Stück weitergereicht wurde.
Allenstein zog die Augenbrauen hoch. Für Kenner ein typisches Zeichen, dass er überrascht war.
»Gut erkannt. Woher stammt diese Sicherheit?«
»Bückeburg! Ich komme doch aus der Gegend.«
Hörnig grinste solidarisch und setzte sich mit den Papierresten und dem Karton in Bewegung. »Das brauchen Sie doch sicher nicht mehr.«
Allenstein nahm Anja das Bruchstück wieder ab, betrachtete es noch einmal nachdenklich und legte es neben das andere Stück ins Regal. Wie zufällig stellte sich Anja dicht neben ihn und fuhr mit ihrem rechten Zeigefinger kreisend über die beiden Steine, ohne etwas zu sagen.
»Vielleicht ruft wieder jemand an. Ich sollte mir ein Aufnahmegerät besorgen. Möglich, dass der Typ kriminell ist.«
Rasch drehte Allenstein sich zu seinen Doktoranden um, setzte sich an den Schreibtisch und blätterte in seinem Kalender.
»Nächste Woche, Dienstag 10.30 Uhr. Kommen Sie bitte vorbei«, sagte er, während er über den Brillenrand hinweg beobachtete, wie Anja den Raum verließ.
| 13 |
Das Haus der Familie Krämer lag in einer kleinen Wohnsiedlung zwei Kilometer oberhalb des Steinbruchs, am Rande des Siebengebirges am Übergang zum Westerwald. Kronberg dirigierte Weller durch die leeren Straßen, auf denen nicht einmal ein Hund zu sehen war. An den Rändern der Fußwege lagen noch Reste des ersten Schnees, der aus den Garageneinfahrten gekehrt worden war, verdreckt mit Splitt und Hundekot. Gabriele Kronberg war erst vor einem halben Jahr hier gewesen und hatte die Mutter von Cordula befragt. Sie erinnerte sich noch an die gedrückte Stimmung in dem Haus, das auf sie irgendwie beklemmend gewirkt hatte. Aber das hatte natürlich auch an der Situation gelegen. Es gehörte zu den unangenehmsten Seiten ihres Berufs, mit Eltern zu sprechen, die den Tod ihres Kindes verkraften mussten.
Weller wendete und parkte den Wagen in gewohnter Weise direkt in Abfahrtrichtung vor einem kleinen Haus mit breitem Vorgarten. Es war im Stil der fünfziger Jahre gebaut und schien in dieser Zeit auch zum letzten Mal gestrichen worden zu sein. Zum Hauseingang an der Seite führte
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