Kreuzstein
eine Holztreppe, die in eine verwitterte Veranda mündete. Als sie die wenigen Stufen nach oben gingen, beugte Kronberg sich leicht über das Geländer und deutete in den Garten. Die Strünke von Rosenkohl und Grünkohl, die dort in zwei Reihen standen, erinnerten sie an ihre Kindheit. Plötzlich bekam sie Hunger auf etwas Herzhaftes.
Sie brauchten nicht lange zu warten, bis eine ältere, schlanke Frau die Tür öffnete. Sie trug einen knöchellangen, sehr bunt gemusterten Rock und eine langärmelige helle Bluse. Auf ihren grauen, viel zu langen Haaren, die ein hageres, faltiges Gesicht einrahmten, saß ein Haarreif. Mit der warmen Raumluft drang ein leichter Duft nach Räucherkerzen nach draußen.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Frau höflich, nachdem die Kommissarin sich und Weller vorgestellt hatte. Anscheinend konnte sie sich an die Kommissarin nicht mehr erinnern.
»Es geht noch einmal um Ihre Tochter Carola. Dürfen wir kurz hereinkommen? Das Thema lässt sich nicht so zwischen Tür und Angel besprechen.«
»Ach, Sie sind das. Ja, jetzt erinnere ich mich.« Frau Krämer wirkte auf einmal sehr unsicher. Ihr Blick huschte zwischen den beiden Polizisten hin und her. »Ich möchte eigentlich nicht mehr darüber sprechen.«
»Wir hatten auch gehofft, mit Ihrer älteren Tochter ein paar Worte reden zu können. Ist sie zu Hause?«
»Nein, Gerda ist nicht da«, erwiderte die Frau. Sie machte einen verwirrten, fahrigen Eindruck.
»Wir haben auf der Kuppe des Leybergs etwas gefunden, das vielleicht Ihrer verstorbenen Tochter gehört hat, eine längliche Schüssel aus weißem Porzellan und Glasperlen.« Gabriele Kronberg zückte die Fotos, die von den Gegenständen gemacht worden waren.
Frau Krämer wurde blass und hielt sich am Türstock fest. Ihre Gesichtszüge wirkten auf einmal wie eingefroren.
»Sollen wir nicht doch besser ins Haus gehen?«, schlug die Kommissarin vor.
Die ältere Frau holte tief Luft und stimmte zu.
Im Wohnzimmer standen zahlreiche Bilder, die fast alle nur Cordula zeigten. Ein hübsches, etwas blasses Mädchen, mit einem Blick, der sehr verträumt wirkte. Auf einer kleinen Kommode war eine besonders schöne Aufnahme mit frischen Blumen und kleinen Puppen wie ein Altar hergerichtet.
»Wissen Sie vielleicht etwas über diese Gegenstände?«, fragte die Kommissarin und hielt Frau Krämer noch einmal die Fotos hin.
»Nein«, kam die ungewöhnlich scharfe Antwort, und dann begann die ältere Frau übergangslos und ungefragt vom Todestag ihrer Tochter zu erzählen. Mit versteinerter Miene schilderte sie den schlimmsten Augenblick ihres Lebens, als Gerda schreiend nach Hause gerannt kam und von Cordulas Sturz im Steinbruch berichtete. Sie hatte sofort Polizei und Notarzt gerufen und war dann mit ihrer älteren Tochter dorthin gerannt. Aber die Polizisten, die bereits eingetroffen waren, hatten ihr nicht erlaubt, über das Trümmerfeld von bemoosten Gesteinsblöcken zu Cordula zu gehen. Und dabei hatte sie doch nur ihr Kind noch einmal in den Arm nehmen wollen.
Mitfühlend beobachtete Gabriele Kronberg, wie sich Frau Krämer immer mehr in ihren Kummer hineinsteigerte. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Weller und unterbrach dann den weinerlichen Redefluss.
»Wo ist Gerda jetzt? Wir haben noch ein paar Fragen an sie.«
Frau Krämer tupfte sich die Augen mit einem zerknüllten Papiertaschentuch ab und trat an den Schrank. »Ich gebe Ihnen eine Karte.«
Sie zog eine abgewetzte Ledermappe aus einer Schublade und nahm eine Visitenkarte heraus.
»Gerda ist seit einigen Monaten in einer Klinik, zur Stabilisierung ihrer Psyche. Die Situation hat sie sehr mitgenommen.«
Die Kommissarin studierte die Karte, auf der der Name eines Psychologen und die Anschrift einer psychiatrischen Klinik standen.
»Für mich ist die Sache klar«, meinte Weller, als er den Motor startete. »Das war Selbstmord. Gerade in diesem Alter häufen sich doch die Fälle. Die Kleine hatte Probleme und fand zu Hause keinen Rückhalt. Die Krämer scheint doch sowieso ein bisschen neben der Spur zu sein. Sie hätte sich am besten mit ihrer Tochter zusammen in die Klinik einweisen lassen sollen. Ich glaube nicht, dass die Angelegenheit etwas mit unserem Fall zu tun hat. Wer weiß, wie die Fasern auf den Stein gekommen sind.«
»Ich glaube, es ist noch zu früh für eine Einschätzung der Sachlage. Wir sollten erst einmal abwarten, was Gerda Krämer sagt«, wies Gabriele Kronberg ihn zurecht.
Weller war jedoch
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