Kreuzstein
übertrafen sicher die der meisten Einwohner.
Sein Weg führte ihn zum Glockenmuseum. Bronze, ein Werkstoff aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn, Metalle, die auch im Harz und im Erzgebirge gefunden wurden. Fast automatisch fielen ihm die wichtigsten Fakten zu diesem Themenkomplex ein. Aus ihnen ließ sich die Legierung herstellen, die einer ganzen Epoche aus der Frühzeit der Menschheitsgeschichte ihren Namen gegeben hatte, die Bronzezeit. Aus Bronze ließen sich erstmals Waffen und Werkzeuge von ausreichender Qualität und Menge herstellen. Und Bronze war auch die Metallmischung, aus der Kunstgegenstände und vor allem Glocken und Kanonen gegossen wurden.
Einige Straßen weiter lag die alte Gießerei. 1722 gegründet, produzierte sie jahrhundertelang Geläute, die in die ganze Welt geliefert wurden. Trotzdem musste 1902 Konkurs angemeldet werden, aber schon 1910 hatte Heinrich Ulrich sie wieder aufgebaut. 1949 jedoch wurde sie von der ehemaligen DDR enteignet und endgültig geschlossen, und seitdem verfielen die Gebäude mehr und mehr. Eigentlich schade, dachte er, schließlich wurde 1923 hier die größte freischwingend läutbare Glocke der Welt gegossen, mit 24 Tonnen Eigengewicht. Allein der Originalklöppel wog fast eine Tonne.
Unauffällig musterte er das Gebäude im Vorbeigehen. Es hatte sich nichts verändert. Es war alles wie beim letzten Mal, als er es sich von innen angesehen hatte.
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Katy war ihrem Vater ein paar Tage lang aus dem Weg gegangen. Die Diskussion über seine Assistentin war ihr auf den Magen geschlagen. Ihr gefiel der Gedanke gar nicht, dass ihr Vater sich mit einem Mädchen einlassen könnte, das in ihrem Alter war. Seitdem Henno allein lebte, kam sie regelmäßig vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, und sie hatte immer schon das Gefühl gehabt, ein bisschen auf ihn aufpassen zu müssen. Ihre Beziehung, die trotz der Probleme zwischen ihren Eltern immer sehr eng gewesen war, hatte sich nach dem Tod von Helga noch vertieft. Wenn ihr Vater Schwierigkeiten im Haushalt hatte, griff er zum Telefon und rief sie an. Aber meistens brauchte er einfach nur etwas Abwechslung und jemanden zum Reden, der nichts mit Geologie zu tun hatte.
Katy war gesellig, immer für eine Überraschung gut, und sie brachte häufig Freunde mit, damit wieder ein wenig Leben in den Junggesellenhaushalt kam. Ab und zu hatte sie auch schon mal einen Jungen aus dem Heim dabei, der an hohen Feiertagen in keiner Familie untergebracht werden konnte.
Diesmal hatte ihr Vater sie zum Essen eingeladen. Das konnte nur bedeuten, dass er etwas mit ihr besprechen wollte. Da Katy sich sicher war, dass es noch einmal um die Sache mit Anja ging, legte sie sich bereits auf der Fahrt zu ihm eine Reihe von Argumenten zurecht.
Henno hatte Hähnchenschenkel gebraten. Katy roch es bereits, als sie die Tür aufschloss, nachdem sie einmal kurz geklingelt hatte, um sich anzukündigen. Während des Essens plätscherte das Gespräch so dahin, und Katy fragte sich schon, ob sie vielleicht das Thema von sich aus anschneiden sollte. Beim Nachtisch jedoch begann Henno ausführlich über seinen Kriminalfall, den Katy bisher nur aus der Presse kannte, zu erzählen. Er bat sie allerdings, die Informationen streng vertraulich zu behandeln.
»Katy, ich muss zwei Dinge mit dir besprechen. Zunächst einmal geht es um eine Sache, die mit dem Fall zusammenhängt. Ich habe dir jetzt so ziemlich alles, was ich darüber weiß, erzählt. Zwar darf ich keine kriminalistischen Untersuchungen durchführen, aber durch die Pakete mit den Steinkreuzen bin ich ja schon direkt betroffen, und ich möchte gerne wissen, was dahintersteckt.«
»Und die andere Sache?«
»Das machen wir anschließend. Ich hätte gerne eine Einschätzung von dir. Du hast durch deinen Beruf viel Erfahrung mit Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen schwierig sind. Ich habe den Verdacht, dass ein ehemaliger Student von uns als Täter für diese verrückten Sprengungen in Frage kommt, einer, der das Studium nicht geschafft hat.«
Katy rührte nachdenklich in ihrem Pudding herum.
»Aber du hast doch gesagt, der Täter ist sehr intelligent vorgegangen«, wandte sie ein. »Warum sollte er denn dann das Studium nicht geschafft haben?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Es ist ja auch nur so ein Gefühl. Es gab in den letzten, sagen wir mal, fünfzehn Jahren mehrere Studenten, vor und während meiner Zeit, die zwangsexmatrikuliert wurden. Sie hatten entweder nicht
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